Ein Beitrag von: Stefan Kohler
Bildbearbeitung ist ein Thema, das immer wieder kontrovers diskutiert wird. Was Bildretusche aber gerade im Profibereich überhaupt bedeutet, wissen nur wenige. Grund genug für Tobias Meyer, einmal genauer nachzuhaken. Der Journalist hat für kwerfeldein den Berufsretoucher Stefan Kohler zum Gespräch gebeten und einige spannende Fragen gestellt.
Fangen wir mit einer langweilig-provokanten Einstiegsfrage an: Ist Photoshop ein notweniges Werkzeug für die Pro-Branche oder brauchen das nur faule Fotograf*innen?
Es ist definitiv ein wichtiges Werkzeug. Ein ungünstig fallender Schatten durch die Bewegung des Modells oder einfach die Knochenstruktur kann nicht immer sofort durch minimale Veränderung der Reflektorposition oder einer Lichtquelle korrigiert werden. So etwas macht man später in Photoshop.
Was ist dabei der Anspruch der Branche?
Da muss man verschiedene Bereiche betrachten: Im Portrait versuche ich als Fotograf, die Person so aussehen zu lassen, als hätte sie den besten Tag ihres Lebens. Temporäre Hautprobleme werden dann behoben, denn bei einem Portrait muss nicht immer ein*e Make-up-Spezialist*in zugegen sein. Die Haut ist ein komplexes Organ und wechselt ständig ihren Zustand. Da können auch Visagist*innen nichts machen. Gegen alles, was mit Strukturen zu tun hat, sind sie machtlos, denn dadurch entstehen kleine Schatten und es hilft keine Farbe.
Außerdem entfernt man Dinge wie einzelne abstehende Haare, die auch die Visagist*innen nicht bändigen können, denn nach einmal „bitte etwas vorbeugen“ kann da schon wieder etwas minimal verrutscht sein. Hochauslösende Kameras zeigen das aber sehr gut, deswegen müssen wir da später digital ran. Während des Shootings fällt Dir auch nicht auf, ob etwa der feine Gesichtsflaum durch Dein Licht bei einer Pose zu prominent wird. Auch das muss später korrigiert werden.
Fällt einem da während der Bearbeitung nicht immer mehr auf, wenn man ständig in der 100-%-Ansicht rumhängt?
Ja und deshalt ist es hier auch ganz wichtig, zu wissen, wann man aufhören muss. Denn bei einem Portrait darf ich auf keinen Fall den Charakter der Person ändern.
Klingt nach etwas, das Erfahrung braucht. Denn das ist ja nichts, was ich über einen Grenzwert definieren kann, den ich nicht überschreiten darf.
Absolut. Retusche ist ein Handwerk, man lernt die ersten Handgriffe schnell, aber bis man richtig gut ist, dauert es sehr lange. Um Köch*in zu werden, reicht es auch nicht, nur ein Rezept zu lesen und die Zutaten zu verrühren. Man muss die Zusammenhänge verstehen.
Wir sind ja immer noch beim Portrait. Wo ist denn die Abgrenzung zum Beautyshooting?
Das ist eine eigene Industrie, etwa alles rund um Werbung für Produkte von Haarkur bis Hautpflege. Hier steht das Produkt im Vordergrund – nicht der Mensch, wie es ja beim Portrait der Fall ist! Dafür braucht es eine eigene Form der Retusche. Dabei ist der Charakter des Modells nicht mehr wichtig, es ist quasi austauschbar – natürlich muss es den Anforderungen der Kampagne entsprechen, was etwa Haare oder Hautton angeht. Aber wenn ich hier im Rahmen bleibe, kann ich nehmen, wen ich will.
Bei der Retusche wird dann alles entfernt, was in irgendeiner Art ablenkend sein könnte. Gleichzeitig muss das Modell aber auch hier natürlich bleiben, die Retusche darf eigentlich nicht sichtbar sein. Der Extremfall sind hier überretuschierte Gesichter, die aussehen wie Plastikfiguren. Prinzipiell werden auch keine Dinge entfernt, sondern nur so weit ausgeblendet, dass sie im Gesamtkonzept nicht mehr störend sind.
Werden solche Bilder deswegen häufig als „seelenlos“ geschmäht, obwohl das eigentlich gewollt ist?
Ja, aber diese seelenlose Fotografie erfüllt einen Zweck und unterliegt einer Industrie. Da gibt es Standards, die werden gesetzt durch die großen Magazine. Wenn man sich die in der Vouge und Co. platzierten Anzeigen anschaut – größtenteils Beautyprodukte und Kleidung – sieht man diesen Standard: Will man da rein, muss man so arbeiten. Punkt.
Ein bisschen anders sehen die Editorials in diesen Blättern aus. Auch hier gibt es Regeln, die Bilder sind aber nicht so glatt, sondern teilweise sogar richtig schräg: Ein Modell sollte da mal ein Oberteil präsentieren und wurde dafür bewusst unscharf abgelichtet, die Kiesgrubenkulisse im Hintergrund war aber gestochen scharf. Das kann man machen, funktioniert aber nur in einer Serie, nicht allein.
Sind freie Projekte dann das Ventil für die Kreativität und die glatten Beautybilder irgendwann für Fotograf*innen nur noch der Brotjob?
Prinzipiell ja, aber auch Beauty muss man ja erst einmal können. Denn auch hier gibt es immer ein Konzept, ein Ziel. Ich kann nicht einfach hingehen und spontan ein Beautyfoto schießen, wenn ich nicht weiß, wofür.
Warum hat die Retusche so einen schlechten Ruf?
Genau wegen dem, was ich gerade beschrieben habe: Weil es sehr viele Leute gibt, die einfach drauflosschießen. Auch das Modell muss hier passen. Nicht jedes hübsche Mädchen ist dafür geeignet, es muss zum Konzept passen und dessen spezielle Kriterien erfüllen. Nach dem Shooting legen dann viele eine schrecklich unprofessionelle Retusche an und verbreiten es unter dem Label „Beautyfoto“, da sie denken, es würde lediglich voraussetzen, ein hübsches Mädchen vor der Kamera zu haben.
Manchen gefällt das natürlich trotzdem, aber vielen eben auch nicht. Viele Betrachter*innen denken dann, der schlechte Eindruck läge daran, dass Retusche immer schlimm aussieht. Auch Portraits werden häufig so stark gebügelt, als wäre das eine Gucci-Kampagne, dabei ist es aber nur das nette Mädel von nebenan, das lediglich eine sehr behutsame Bearbeitung bräuchte. Social Media ist hier ein großes Problem, denn über vielen der Bilder steht da dann auch gern „Beauty-Portrait“, was natürlich null Sinn ergibt.
Die Retusche ist also zu präsent?
Absolut. Da muss man wissen, was man tut. Denn es schreibt mir ja niemand vor, wie ich etwas retuschieren soll, das geht gar nicht. Das Bild gibt immer vor, wie es retuschiert zu sein hat. Ich kann aus einem Portrait kein Beautybild machen. Andersherum geht es möglicherweise, aber richtig gut wäre das auch nicht. Aber um noch einmal auf die Social-Media-Einflüsse auf die Retusche zurückzukommen: Viele Fotograf*innen kommen in den digitalen Scheinwelten zu Ruhm und Ehre, weil vielen Leuten ihr Stil gefällt.
Daraus schlagen diese Fotograf*innen dann mit Workshops schnell Kapital und geben ihr Halbwissen an Einsteiger*innen weiter. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie gute Qualität liefern können. Wir müssen uns dann damit auseinandersetzen und diesen Leuten erklären – oft mit ungläubigem Blick – dass die von ihnen verehrten Kolleg*innen, am professionellen Level gemessen, Pfuscher*innen sind, auch wenn sie 50.000 Fans auf Facebook haben.
Ihr seid also keine Bildretter*innen, sondern optimiert nur bereits fast perfektes Material?
Exakt. Wir gleichen lediglich Dinge an, die in der Fotografie nicht zu machen sind. Für eine gute Retusche muss aber das Ausgangsmaterial bereits absolut top sein. Wir haben in unseren Gruppen sehr häufig Fragen zu Problemen, die wir ganz klar damit beantworten: Ist kein Fall für uns, das hättest du schon beim Fotografieren richtig machen müssen. Wenn das Konzept nicht da ist, das Licht nicht stimmt, das Modell nicht passt. Denn nur sauber scharf gestellt und richtig belichtet reicht noch nicht aus, um als gutes Material zu gelten. Ich selbst habe über die Retusche unheimlich viel über die Fotografie gelernt und achte nun auf Dinge, die mir vorher nicht bewusst waren.
Muss man als Retuscher*in im Gegenzug auch viel über andere Bereiche wissen?
Auf jeden Fall, beispielsweise über Licht und Anatomie, denn das sind ja die Dinge, die ich verändere. Wenn ich das nicht richtig mache, fällt das auf. Ich kann nicht auf der Stirn ein Highlight reduzieren und woanders im Bild nicht, denn das beruht ja auf der gleichen Lichtquelle.
Wie definiert Ihr den Trendbegriff „Look“?
Ich spreche lieber von Farbkonzepten. Der „Look“ klingt mir zu sehr nach Lightroom-Preset und Filtergewäsch. Das ist gut für Spaßbilder, bringt aber nichts für kommerzielle Projekte. Und auch bei freien Arbeiten ist es natürlich wesentlich sinnvoller, zu wissen, was ich tue und warum ich es tue, statt nur irgendetwas Fertiges drüberzuziehen. Ein großer Teil der Retusche ist daher ein Verständnis der Farbharmonie.
Ein Modell mit roten Haaren und natürlich etwas rot in der Haut sieht gut vor grünem Hintergrund und mit etwas grünem Make-up aus, einfach weil das ein klassischer komplementärer Farbkontrast ist. In der Retusche werden die Farben dann bis aufs Letzte eingestellt, so dass sie wirklich zu 100 % harmonisch sind. Denn in der Realität hat die Visagistin vielleicht kein Grün, das 100 % zu den Folien auf meinen Lampen passt oder die Wiese hat halt einen etwas anderen Grünton. In der Kamera nicht machbar, in der Retusche schon.
Auch hier muss aber immer bei der Aufnahme trotzdem so weit wie möglich gegangen werden. Den typischen Satz „Ach, das machen wir später in Photoshop“ sagt eigentlich niemand Vernünftiges und vernünftige Retuscher*innen schmeißen solche Fotograf*innen schnell aus der Kartei.
Retusche ist auch kein Stilmittel, sie darf eigentlich gar nicht gesehen werden, Du darfst keine Spuren hinterlassen. Ist sie deutlich erkennbar, habe ich etwas falsch gemacht. Das ist einer der wichtigsten Lernprozesse überhaupt: Wissen, wann man aufhören muss. Denn oft bedeutet noch eine Stunde mehr Retuschieren eben nicht, dass das Bild noch besser wird, sondern genau das Gegenteil.
Im Beruf kann man ja auch nicht für alles Zeit brauchen, im Hobby ist das egal.
Wir selbst versuchen ja immer, Arbeit zu vermeiden, wo es geht, Effizienz ist auch bei uns immens wichtig, um von diesem Job leben zu können. Als ich damit angefangen habe, hing ich mal 50 Stunden an einem Bild, heute brauche ich da maximal eine. Womit wir wieder beim Handwerk sind: Üben, üben, üben.
Ist das auch ein Grund, warum viele Fotograf*innen die Retusche scheuen: Weil sie zu lange brauchen, da sie einfach ungeübt sind?
Viele Fotograf*innen sagen genau das: Da brauche ich acht Stunden und die zahlt mir keiner. Das hören wir ständig! Aber das liegt nicht an den Methoden, sondern an der Übung, am Blick und der Einschätzung, wie viel wirklich nötig ist. Viele schrecken auch vor externen Retuscher*innen zurück, weil sie deren Aufwand über sich selbst abschätzen und keine zehn Stunden zahlen möchten – obwohl die Pro-Retuscher*innen vielleicht nur eine Stunde brauchen und abrechnen würden. Viele wissen auch nicht, dass Retuscher*innen immer auf der Suche nach neuem – gutem – Material sind und Editorials daher inzwischen viel auf TFP-Basis gemacht werden.
Kann man überhaupt gleichzeitig Fotograf*in und Retuscher*in im High-End-Segment sein?
Ich persönlich vertrete die Ansicht, dass man nur entweder in dem einen oder dem anderen wirklich gut sein kann. Beides sind so immens vielfältige Felder, dass man unmöglich beide meistern kann. Kein*e Sterneköch*in wird auch gleichzeitig als Maler*in durchstarten. Bis zu einem gewissen Grad gehen natürlich viele Sachen parallel, Stichwort Hobby. Aber wirklich herausragend mit vollem Herzblut widmen kann man sich immer nur einer Sache voll und ganz.
Ich selbst würde mir für meine Fotografie in Schulnoten gerechnet höchstens eine Vier geben, als Retuscher würde ich vielleicht eine Zwei bekommen. Um als Retuscher wirklich im Business zu bleiben, muss ich Qualität mit Effizienz verbinden und das erfordert hohes Wissen. Denn es bringt ja nichts, wenn ich ein sehr tolles Bild produzieren kann, dafür aber 80 Stunden brauche, die mir keine Kundschaft zahlt.
Qualität allein reicht also nicht – wie in jedem Geschäft. Preise diktieren kann man nur, wenn man allein eine Nische bedient. Sobald dann aber jemand kommt, der die gleiche Qualität günstiger anbietet, wird Deine Kundschaft ganz schnell weniger.
Gibt es Trends in der Retusche? In der Fotografie sind ja immer irgendwelche Stile angesagt und andere nicht.
Ja, das gibt es auch hier. Aktuell geht es wieder etwas weg vom absolut Makellosen zu mehr, ich sage jetzt mal: kontrollierter Unordentlichkeit. Gerade bei den Haaren wird wieder mehr gestrubbelt und da kann ich dann als Retuscher natürlich nicht jede Unordentlichkeit herausnehmen. Das erfordert manchmal sogar mehr Retuscheaufwand als eine perfekt geglättete Frisur.
Und ich muss natürlich wissen, für was ich retuschiere: Eine Social-Media-Kampagne habe ich relativ schnell fertig, für die hintergrundbeleuchtete Tafel an einer Bushaltestelle muss ich einen wesentlich höheren Aufwand betreiben, weil bei diesem Einsatzbereich natürlich viel mehr erkennbar ist – obwohl es das gleiche Bild mit der gleichen Wirkung ist. Dass ich für die Social-Media-Kundschaft weniger mache, macht sie sogar glücklich, da sie ja eine kleinere Rechnung bekommt.
Stichwort Rechnung: Ist ein Punkt für die Notwendigkeit der Retusche auch, dass man im Pro-Business eben mit Konkurrenz arbeitet?
Klar! Wenn ein*e Fotograf*in nicht so arbeitet, wie es die Agentur verlangt – mit Retusche – gehen die eben zu jemand anderem. Die wenigsten Kampagnen schmücken sich ja mit den Namen der Fotograf*innen, nicht jede*r ist der neue Helmut Newton und daher können die meisten sehr einfach ersetzt werden. Ist die Kundschaft allerdings zufrieden, bleibt sie auch gern bei Dir.
Außerdem kommt man sonst auch einfach gar nicht rein: Die Vouge beispielsweise akzeptiert keine eingereichten Editorials. Die kommen zu Dir, wenn ihnen irgendwo Deine Bilder aufgefallen sind. Dann heißt es: Wir schicken Dich mit Model XY nach YZ für diese und jene Marke. Und im Anschuss sagen sie – sagen, nicht fragen – dass hier und da noch eine Strähne nachkorrigiert werden muss. Da kannst Du nicht sagen, das machst Du nicht. Also, kannst Du schon, aber dann war das Dein letzter Auftrag dort.
Gibt es noch weitere Beispiele für die Notwendigkeit der Retusche?
Häufig ist es ja auch ein Mix. Ein Kollege fotografiert zum Beispiel viele Schmuckkampagnen, da gibt es häufig große Silberteile – etwa mit viel Reflexion! Das will der Kunde natürlich nicht, seine Ware soll sauber zu sehen sein. Das kann ich perfekt ausleuchten, dann bewegt sich das Modell einen Millimeter und alles ist dahin.
Weil so etwas in Photoshop aber auch nicht mit zwei Klicks ausgebessert ist, macht er Folgendes: Im ersten Durchgang schaut er nur aufs Modell: Blick, Gestik und Szene müssen top passen. In einem zweiten Durchgang wird dieselbe Pose wiederholt, dabei der Schmuck sauber ausgeleuchtet und später in Photoshop das Beste aus beiden Durchgängen kombiniert. Jetzt ist es an jedem selbst, zu entscheiden, ob das Retusche ist oder nicht. Denn viel an den Reglern gedreht wurde da nicht, es wurden beide Male nur die absoluten Realitätsbedingungen gezeigt.
Bei Beauty werden oft auch Haarsträhnen von anderen Fotos der Serie verwendet, weil sie etwa einen Tick besser fallen. Aber da müssen natürlich Licht und Farbe passen.
Nach den ganzen Details zum Schluss noch einmal Gefühl: Gibt es auch subjektive Faktoren, die Retusche erforderlich machen?
Natürlich, ein Foto ist immer nur ein Momentausschnitt. Die Person wird auf einen Sekundenbruchteil reduziert und auf das Visuelle beschränkt. Im normalen Leben sind aber viele verschiedene Reize omnipräsent, die das Foto nicht transportieren kann. Da kann es sein, dass man in der Retusche etwas verstärken muss, was die Kamera nicht schaffte, komplett zu transportieren.
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