Ein Beitrag von: János Buck
KAMELTAGE – ein Blinddate von Wort und Bild. Ein Experiment. KAMELTAGE ist ein blinder Dialog zwischen Wort und Bild. Das Ergebnis eines Tages. Ein Spiel. Ein Buch. Ein Projekt, das 2013 in digitaler Form seinen Anfang fand.
In einem Blog fügten Moritz Hüttner und János Buck jeden Tag eine Fotografie und einen kurzen Text zusammen – mit der einzigen, selbst auferlegten Einschränkung, dass beide Teile, Bild und Text, das Ergebnis des gleichen Tages sein mussten und beide Künstler den Beitrag des jeweils anderen erst bei der Veröffentlichung sahen. So fotografierten und schrieben sie im täglichen Wechsel und schufen über ein halbes Jahr hinweg 165 Bild-Text-Kombinationen.
Sprache sprechen. Auch wenn ich nicht immer verstehe, was die Menschen von mir wollen, ist es doch nett, sich zu unterhalten.
Sand in der Unterhose. Der Himmel blau. Gelb die Sonne, wie überreife Zitronen. Aber Sand in meiner Unterhose. Strand kann so unangenehm sein, wenn es brennt.
Frei nach Breton entstand ein Cadavre Exquis, wobei der Geist von gewohnten Denkmustern befreit und dem Zufall Raum gegeben wird. Der besondere Reiz der Idee besteht im spielerischen Umgang mit den Medien Bild und Text, der Flüchtigkeit und dem unerwarteten Ergebnis.
Fliegen sterben. Ob Fliegen wohl im Fliegen sterben? Vielleicht doch eher normal – im Liegen. Und wohin mögen – könnten sie denn fliegen – die Ziegen? Wahrscheinlich in den Süden – diese blöden Ziegen! Da wollen schließlich alle hin. Außer die des Lebens müden – Fliegen.
Ihr beschreibt den Reiz der Freiheit des Zufalls – worin genau seht Ihr diesen?
János: Es ist spannend, loszulassen. Man versucht beispielsweise, ein Bild entsprechend einer Idee zu gestalten, plant alles, versucht, zu kontrollieren und stellt später fest, dass durch den Text etwas entstanden ist, das so nicht vorherzusehen war. Wenn man sich darauf einlässt, ist das spannend und entspannend zugleich. Als Künstler*in versucht man, vieles zu planen und die Kontrolle zu behalten, das geht hier nur zum Teil. Plötzlich steht Dein Bild oder Dein Text in einem ganz anderen Licht und kann einen überraschen.
Moritz: Ich denke auch, dass gerade die Fotografie eine Planung im Sinne eines Konzepts braucht. Durch unser Konzept wollten wir uns, denke ich, vor allem von einem festgefahrenen Bildgedächtnis lösen, um Bilder wieder infrage stellen zu können. Ich denke ohnehin, dass es in der Fotografie viel mehr um Prozesse gehen muss. Bilder brauchen Kontexte, um an Bedeutung zu gewinnen.
Durch unser Konzept bleibt der Kontext durch den Text aber unkontrollierbar. Das ist die eigentliche Freiheit des Zufalls. Man hat nur einen kleinen Einfluss auf das Ergebnis, aber es kann auch in eine völlig andere Richtung gehen. Das Projekt kann dazu beitragen, dass wir Bilder genauer betrachten und lesen lernen.
Ankunft. Am Strand eine Muschel finden. Welche Bedeutung hat diese Muschel? Sie sieht doch aus wie all die anderen. Einmal beherbergt sie Leben, doch damit ich sie am Strand finden kann, ist die Muschel tot. Geschleift durch Strömung, Gezeiten treiben sie durch den Sand.
Welche Rolle spielt die Kombination von Bild und Text für Euch persönlich?
Moritz: Das Schreiben gehört für mich zum künstlerischen Prozess dazu. Auch wenn man Bilder macht, fängt man doch früher oder später damit an, das Gezeigte in Worte zu fassen. Ich finde es interessant, dass Texte Bilder erzeugen und ich denke, dass es andersherum genauso funktioniert. Ich denke nicht, dass ein Bild für sich stehen kann, da sich spätestens auch beim Betrachten jemand Gedanken macht. Und das Nachdenken darüber erzeugt doch Text, auch wenn er unausgesprochen bleibt. Es besteht also immer eine Kombination aus Bild und Text, umso spannender ist es, wenn diese beiden Komponenten blind aufeinander treffen.
János: Ich lese gern und das hat oft auch direkten Einfluss auf die Bilder, die ich mache. Aber durch die KAMELTAGE habe ich angefangen, intensiver über die Kombination nachzudenken.
Vorhänge. Auf der Klavierlack-Oberfläche meines Bildschirms sind Fingerabdrücke zu sehen. Das sind wahrscheinlich meine Fingerabdrücke, immerhin verschiebe ich den Bildschirm häufig aus der blendenden Sonne, die zu dieser Jahreszeit schon am frühen Nachmittag tief genug steht, um die Kontrastverhältnisse meines Displays zu stören. Wenn die Sonnenstrahlen dann auf das hochglänzende Plastik fallen, werden die Fingerabdrücke besonders sichtbar und wenn der Bildschirm dann verschoben werden muss, hinterlassen meine Finger weitere Abdrücke.
Gibt es visuelle Überschneidungen, die eine Bildsprache bei den KAMELTAGEN ausmachen?
János: Im Prinzip ist uns da totale Offenheit wichtig. Das kommt am Ende natürlich auch auf die Künstler*innen an. Aber dadurch, dass jedes Bild an einem Tag entsteht und nicht lange ausgearbeitet werden kann, hat sich bei uns damals ein Stil entwickelt. Die Bilder zeigen Alltägliches oder Surreales, sind aber immer auch visuelle Notizen, die wie in einem Tagebuch Stimmungen dokumentieren. Das kann eine Zimmerpflanze in der Ecke sein oder ein Toaster, der von der Decke hängt.
Eigenblicke. Halbschlaf – Delirium – ein Schritt zurück hinter die eigene Stirn – alles klar, Land in Sicht.
Welche Überraschungen hielt das Projekt für Euch bereit?
János: Am Anfang war natürlich jeden Tag die eigene neue Kombination eine kleine Überraschung für uns beide. Ich finde es aber auch besonders schön, die Texte bei Lesungen zu hören. Dabei bekommt die gesamte Arbeit noch einmal eine weitere Ebene. Und für Ausstellungen lassen wir uns immer etwas Neues einfallen. Das ist das Schöne an diesem Projekt, dass es einen großen Spielraum bietet und dadurch jedes Mal neu entdecken lässt. Natürlich ist es auch immer spannend, was unsere Gäste für Kombinationen entstehen lassen.
Ihr habt auch Gastkünstler*innen die KAMELTAGE entstehen lassen – welchen Part übernehmt Ihr dabei?
János: Da mischen wir uns nicht ein. Unsere Aufgabe ist dann erst einmal, die Werbetrommel zu rühren und wenn es dann an die Publikation und Ausstellungen geht, arbeiten wir eng mit den Künstler*innen zusammen.
Moritz: Ja, es sind eher kuratorische und organisatorische Aufgaben, die anfallen. Wir wählen die Künstler*innen aus, bei denen wir denken, dass es eine spannende Kombination ergibt und begleiten sie bis zur Entstehung der Publikation und den Ausstellungen. Wir produzieren die Bücher und suchen auch mögliche Ausstellungsräume. Dabei sind wir aber immer sehr offen für Wünsche und Anregungen der beteiligten Künstler*innen. Wir lassen ihnen viel Freiraum. Uns ist am Ende nur wichtig, dass etwas Interessantes dabei herauskommt, das dem Projekt gerecht wird.
Aus den Nachrichten #3. Heute ist wieder jemand gestorben, den man kennt. Dass es diese Person gegeben hat und dass sie alt war, wusste ich – sonst nichts. Jetzt lese ich einen Nachruf, der schon vor Jahren geschrieben wurde und mir einen Blick in das Leben der berühmten Person ermöglicht. Alles, was zwischen dem Verfassen des Nachrufs und dem Ableben der berühmten Person geschah, ist unwichtig. Die berühmte Person hat in ihrem Leben allerhand geleistet und ein bemerkenswertes Leben geführt. Sie ist schon Freitag gestorben, aber wir haben es erst heute erfahren.
Ist es ein unendlich zu denkendes Projektkonzept?
János: Am liebsten ja. Das Ganze entwickelt sich ständig weiter und bleibt durch weitere Gastkünstler*innen, ein super Team und immer neue Ideen spannend.
Moritz: Ja, ich denke auch, dass es unendlich weiter gehen kann. Es ist wirklich spannend, wie viele verschiedene Möglichkeiten man allein innerhalb des Konzepts immer wieder neu denken kann. Das zeigt sich auch in der Präsentation. Ich denke, das kann vom Buch bis zum Theater oder einer Performance funktionieren. Ich fände es auch spannend, die Texte als Vorlage für ein Theaterstück zu nehmen und die Bilder zum Beispiel als Kulisse einfließen zu lassen.
Was kommt als nächstes bei den KAMELTAGEN?
Moritz: Im September haben wir mit Franya Barth und Maria Sturm ein sehr spannendes Paar zu Gast. Darauf freuen wir uns und natürlich auf die Publikation, Ausstellungen und Veranstaltungen mit den KAMELTAGEN der beiden.
János: Ja, das wird toll! Juhuu!
Milky Way. Unter einer Taucherglocke gleite ich durch den luftleeren Raum des Universums, der Unendlichkeit entgegen. Dann ein Knall. Millionen kleine Sterne, die zu Boden fallen. Scherben der Milchstraße auf dem Teppich verteilt. Wer räumt das alles wieder weg?
KAMELTAGE ist das Projekt von Moritz Hüttner und János Buck. Die beiden Fotografen lernten sich bei ihrem Studium der Fotografie in Bielefeld und Budapest kennen. Seit 2013 arbeiten sie zusammen an diesem Projekt und organisieren gemeinsame Ausstellungen und Lesungen. 2015 haben sie das Buch KAMELTAGE im Eigenverlag publiziert und bei Ausstellungen und Lesungen präsentiert.
Am 1. Januar 2017 folgten die ersten beiden Gastkünstler*innen Nora Ströbel und Kai Behrendt der Einladung und führten über 30 Tage hinweg sie einen Dialog, aus dem das Magazin KAMELTAGE 117 entstand.
Mit der Gründung des KAMELTAGE e. V. in 2018 arbeitet mittlerweile ein Team kreativer Köpfe an immer neuen Ideen. Es freut sich immer über Verstärkung durch engagierte Mitarbeiter*innen, die sich den verschiedensten Aufgaben annehmen und über Mitglieder, die durch ihren Beitrag das Projekt unterstützen.
Dieses Interview wurde von kwerfeldein-Redakteurin Tabea Borchardt initiiert.
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