Tuesday, May 7, 2019

Bitte fotografiere die Beerdigung unseres Kindes

Ein Beitrag von: Stephanie Richartz

Einen Menschen zu verlieren, ist immer hart, denn jede*r geht doch irgendwie zu früh. Das eigene Kind zu verlieren, kann nur die Hölle sein. Es ist der ultimative Albtraum aller Eltern, das gänzlich Unvorstellbare. Und wann immer man es hört oder liest oder erzählt bekommt, hat man eine leise Ahnung vom Wahnsinn, eine Idee davon, wie unerträglich es wäre, wenn es einem passiert.

Und manchmal ist man auf einmal ganz nah dran und erlebt, wie eine Familie von der Katastrophe heimgesucht wird, sieht mit eigenen Augen, wie das Leben anderer Menschen von einer Sekunde auf die nächste auseinanderbricht.

Bitte fotografiere die Beerdigung unseres Kindes – es ist uns so wichtig.

Ein paar Worte, die mich erst einmal wie ein Blitz getroffen haben. Und mein Kopf, der hatte die Antwort sofort parat: Nein. Auf keinen Fall. Das kann ich nicht und das mache ich nicht. Ich meine, ich bin Mutter. Ich habe zwei Kinder und weiß genau, dass meine Welt zusammenbrechen würde, wenn ich eines von ihnen beerdigen müsste. Ich weiß, wie es sich anfühlt, Kinder zu haben, sich um sie zu sorgen, mit ihnen zu leiden und so sehr zu lieben, dass es manchmal fast weh tut. Den Gedanken, eines von ihnen zu verlieren, den kann und möchte ich gar nicht zu Ende denken.

All diese Gedanken schossen mir in Lichtgeschwindigkeit durch den Kopf. Dann aber kam der nächste Gedanke, der lautete: So, so. Weil Du es nicht ertragen könntest, nimmst Du Dir das Recht heraus, das abzulehnen. Da sind Menschen, die gehen gerade durch die schlimmste Zeit ihres Lebens und Du denkst über Deine Befindlichkeiten nach? Das kann ja nicht Dein Ernst sein.

Also habe ich zurückgeschrieben, dass ich da sein werde.

Nun, ich möchte das nicht öfter tun. Den Schmerz und die Trauer von Eltern so unmittelbar und körperlich zu spüren, die Verzweiflung in den Momenten, in denen die Wahrheit realisiert wird, in denen man sich gerade nicht in etwas flüchten kann. Das Entsetzen und das Unverständnis, das mit der Frage einhergeht: Wie geht es denn jetzt weiter? Wie kann es denn überhaupt weitergehen? Die Hilflosigkeit, die man selbst spürt, weil man genau weiß, dass man nichts tun kann, um den Eltern und der Familie etwas vom Schmerz zu nehmen. Wenn die einzigen Worte, die man sagen kann, lauten: Mir fehlen die Worte.

Aber ich denke, dass wir darüber sprechen müssen. Darüber nachdenken müssen, warum es so wichtig ist, auch eine Beerdigung zu fotografieren. Dass wir den Wunsch, Bilder davon zu haben, nicht verurteilen und es auch nicht merkwürdig finden sollten.

Wir machen Bilder, um uns zu erinnern. Und nun kann man sich fragen: Möchten wir uns daran erinnern, wie wir einen geliebten Menschen beerdigt haben? Und die Antwort lautet: Ja. Beerdigung, das bedeutet Abschied nehmen. Es ist das Ende eines Kapitels. Und wie auch immer dieses Kapitel ausgesehen hat, es kommt nicht zurück. Sich den Abschied immer wieder ansehen zu können, irgendwann, das ist wichtig und kann helfen, zu verarbeiten.

Zu sehen, wer da war, um sich zu verabschieden, zu sehen, dass man im Schmerz nicht allein war, zu sehen, wie auch von anderen getrauert wurde, welche Ehre dem verstorbenen Menschen erwiesen wurde – das alles kann für Hinterbliebene so wichtig sein.

Und ich bin überzeugt davon, dass meine Entscheidung gut war. Allerdings – auch das muss ich zugeben – würde ich mit etwas Abstand betrachtet heute anders fotografieren.

Damals war es meine Priorität, unauffällig zu sein, keinesfalls pietätlos zu wirken. Ich habe mich konzentriert auf das „Drumherum“, auf die liebevollen Botschaften, die Blumen, die Luftballons, habe viele Details gezeigt. Ich habe vermieden, die trauernden Menschen direkt zu fotografieren. Nur von Weitem, nur in Gruppen.

Natürlich würde ich auch heute darauf achten, keinesfalls pietätlos zu wirken oder zu stören. Aber ich würde meinen Fokus mehr auf die Menschen legen als bei meiner „ersten“ Beerdigung. Ich würde – genau wie bei meinen normalen Familienreportagen – den Fokus darauf legen, die Gesamtsituation zu erfassen. Mit Respekt, mit Empathie.

Aber auch mit der Gewissheit: Ich bin dort, weil man mich dort haben wollte. Für die Menschen, die mich gebeten haben, zu fotografieren, bin ich kein Störfaktor. Ich bin auf ihren Wunsch hin da, um die Geschichte dieses Abschieds zu erzählen. Und heute würde ich Wert darauf legen, diese Geschichte vollständig zu erzählen. Mit allen Facetten und mit allen Emotionen, die dazu gehören.


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