Ein Beitrag von: Massimo Giovannini
Henkō ist ein japanisches Wort, das aus den Zeichen 変 Hen (Veränderung) und 光 Kō (variables/ungewöhnliches Licht) besteht. Tatsächlich ist Henkō mehr als ein Wort, es handelt sich um einen Klang, der ein Konzept trägt, nämlich ein sich bewegendes Licht, das unsere Wahrnehmung der beleuchteten Objekte verändert.
Ich hatte das Gefühl, dass ich mit meiner Kamera in diesem Projekt genau das versucht habe: Ein komplexes Thema in ein anderes Licht zu rücken und ungewöhnliche Perspektiven zu bieten. Wenn die Beleuchtung und das Make-up Betrachter*innen dazu bringen können, ihr Verständnis des Geschlechts in Frage zu stellen, kann es sein, dass die Grenze zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen tatsächlich verschwommener ist, als wir glauben?
Anstatt einer starren, wohl beruhigenden Sichtweise der Gesellschaft, die Menschheit sei eine Reihe einfacher Dichotomien – Mann/Frau, hetero/schwul, schwarz/weiß – sollten wir Identität nicht einfach als fließendes Konzept betrachten?
Das Henkō-Projekt begann im Jahr 2016, als die italienische Regierung ein Gesetz verabschiedete, das eine gleichgeschlechtliche Ehe in einem nach wie vor sehr katholischen Land erlaubt. Mich beunruhigte die Oberflächlichkeit, mit der sich viele nationale Medien mit dem Thema Geschlecht befassten und insbesondere über die Vorstellung, dass das Recht auf Liebe und einer Familie angeblich nur zu einer Vereinigung zwischen Mann und Frau gehören könne.
Dann, an einem faulen Septembernachmittag, teilte ich meine Überlegungen zum Konzept des Geschlechts mit der Maskenbildnerin Lucia Santorsola. Eins führte zum anderen und bevor wir das Projekt wirklich durchdenken konnten, hatten wir bereits unser erstes Modell vor uns – einen gemeinsamen Freund, dessen androgynes Aussehen uns half, herauszufinden, was wir eigentlich wollten.
Alle Requisiten und Hintergründe wurden entfernt, da wir der Meinung waren, dass die Bildbotschaft ohne Ablenkungen klarer und stärker sein würde. Tatsächlich gingen wir noch weiter und verzichteten zudem auf Kleidung, um alle Klischees über das Thema Geschlecht loszuwerden.
Die Wahl des Formats – das traditionelle fotografische Portrait, kombiniert in Diptycha – und die Direktheit eines scheinbar nackten, unkomplizierten Bildes, verschleiern effektiv die tiefe Komplexität des Themas und zwingen zugleich die Betrachter*innen, das Medium zu hinterfragen und ihre Fähigkeit, es zu durchschauen.
Ich habe ein einzelnes Licht sowohl für das Motiv als auch für den neutralen Hintergrund verwendet, während Lucia gekonnt am Make-up arbeitete. Sie nutzte Retuschen, die den Adamsapfel der Modelle aufweichen oder betonen sollten. In der Postproduktion wurde kein Bild mit Photoshop-Effekten versehen. Lediglich die Beleuchtung, das Make-up und die Gesichtsausdrücke des Motivs vermitteln die symbolische Geschlechtsumwandlung.
Unsere Modelle waren alles Bekannte, ausgewählt, weil einige ihrer Gesichtszüge für uns auf das andere Geschlecht übertragbar wirkten. Die Herausforderung, ausschließlich mit nicht professionellen Modellen zu arbeiten, bestand darin, dass die fertigen Bilder nicht zu einer Karikatur werden sollten, da wir schnell bemerkten, dass selbst geringfügige Änderungen in Ausdruck oder Pose schnell karikativ wirkten.
Henkō soll die Betrachter*innen nicht täuschen, sondern nur einen Zweifel hervorrufen, um sie dazu zu bringen, vorgefasste Vorstellungen über das Geschlecht und die mutmaßliche Wahrhaftigkeit selbst des aufrichtigsten fotografischen Bildes in Frage zu stellen.
Dieser Artikel wurde für Euch von Katja Kemnitz aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.
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