Darum geht es mir immer – um das Merkwürdige
Ein Beitrag von: Max Kling
Der Straßenfotograf Max Klingt aus dem Rhein-Main-Gebiet verrät uns heute, warum Frankfurt auch nach Jahren immer noch eine spannende Kulisse ist und warum ihn merkwürdige Geschichten faszinieren.
Max, erzähl uns etwas über Dich. Wer bist Du und was machst Du so?
Seit Mitte der Neunziger lebe ich im Rhein-Main-Gebiet und arbeite als Berater in Werbung und Marketing. Schon seinerzeit war AGFA mein liebster Kunde und passte gut zu meiner Leidenschaft für Fotografie. Meine eigene Schwarz-Weiß-Fotografie habe ich aber mit Ilford-Material gemacht. Damals standen historische Rennsport-Projekte wie die Mille Miglia, Oldtimer-Grandprix etc. im Fokus.
Veröffentlicht habe ich die Projekte in amerikanischen und deutschen Zeitschriften. Hinzu kam ein Nachwuchsförderpreis für Fotografie, den ich mehrere Jahre mit verantwortete und organisierte. 2016 kam ich dann durch Zufall in Kontakt mit einigen US-amerikanischen Straßenfotografen, die in New York und Philadelphia arbeiteten. Das war Inspiration und Auslöser, mich nach Jahren der fotografischen Abstinenz mit dem Thema Straßenfotografie auseinanderzusetzen.
Das Gefühl, das kann ich, das will ich, das muss ich, das mach ich und zwar hier in Frankfurt, begann mich vollständig einzunehmen. In Japan habe ich dann eine gebrauchte Ricoh GRD gekauft und einfach angefangen. Alles ging dann relativ schnell, erste kleine Ausstellungen und Veröffentlichungen und Menschen, die Geld für meine Bilder ausgeben. Aber neben all dem ist das Wichtigste für mich, zu spüren, dass mein Herz klopft, wenn ich mich mit Fotografie beschäftige. Dann weiß ich, dass ich das Richtige tue.
Wie würdest Du Deinen fotografischen Stil beschreiben?
Es geht mir nie darum, einfach nur das Leben abzubilden. Irgendwelche Menschen, die irgendwo langlaufen oder irgendetwas tun, interessieren mich nicht. Irgendwelche Gebäude auch nicht. Spannend wird es für mich, wenn das Bild einen guten Aufbau hat und mir die Situation zusätzlich eine Geschichte erzählt, meiner Fantasie einen Schubs verpasst.
Auch wenn ich immer wieder feststelle, dass ich die größte Resonanz und auch die meisten Anfragen nach Bildern bekomme, auf denen die Architektur der Stadt die Hauptrolle spielt, so sind es doch die Menschen, die mich interessieren. Nah ran, den richtigen Moment erahnen, schnell und mutig sein.
Es gibt aber auch Bilder von Frankfurt von mir, die gerade durch das Fehlen der Menschen lebendig werden. Straßen, die nie, nie, nie leer sind – aber auf dem Bild schon. Dann kommt auch da etwas Merkwürdiges ins Spiel.
Ich denke, darum geht es mir immer – um das Merkwürdige. Das suche ich und versuche, es festzuhalten. Dabei hilft mir die Ricoh. Festbrennweite, weitwinkelig – Du musst nah heran. Meine Bilder sind dicht, kontrastreich, körnig, rau und ich hoffe, merkwürdig.
Du fotografierst ausschließlich in Frankfurt?
Nicht ausschließlich, aber schwerpunktmäßig, da ich hier lebe, die Stadt kenne und hier viel unterwegs bin. Aber man muss natürlich auch sagen, dass Frankfurt sehr, sehr viel visuelles Potenzial bietet. Große Vielfalt und Kontraste. In allem. In den Strukturen, den Menschen, den Situationen. Situationen entstehen immer und überall, oft unerwartet und spontan.
„Elsewhere“ nenne ich die Bilder, die mir auf Reisen und außerhalb Frankfurts begegnen. Dazu habe ich die Ricoh immer in der Tasche. Doch ich verfolge auch gezielt Projekte, die in Frankfurt gar nicht möglich wären. Beispielsweise bin ich in meinem Projekt „Second Life“ jeden Spätsommer gezielt im Umland unterwegs. Dort beschäftige ich mich mit der merkwürdigen Welt der dörflichen Kerwe, Kerb, Kirchweih, Kirmes, Kier oder wie auch immer die Feste im regionalen Zungenschlag genannt werden.
Hier, bewusst ganz ohne Menschen. Parallelwelt. Frühmorgens, wenn die Buden noch zu und die Menschen zu Hause im Bett sind. Oder wenn die Buden gerade aufgebaut werden. Dieses Projekt wäre in Frankfurt allein gar nicht möglich.
Würde sich Deine Bildsprache in einer anderen Stadt verändern?
Ja und nein. Die Sujets und Inhalte der Bilder sind definitiv abhängig von Stadt, Land und Fluss. Die Architektur, die Menschen, das Leben, die Situationen geben den Takt vor. Und der ist überall anders. Das hat natürlich Einfluss auf Art und Inhalt der entstehenden Fotografie. In Frankfurt bin ich zwar auch immer wieder überrascht, was geschieht und entsteht, aber ich bin vorbereitet. Intuition und fotografischer Instinkt haben hier eine breite Basis.
Was sich definitiv nicht verändern würde, ist das sehr nahe Herangehen, die hohen Kontraste, die Fokussierung auf die besonderen, merkwürdigen Situationen und die gut komponierten Bildaufbauten.
Du bleibst der klassischen Straßenfotografie treu und fotografierst Deine Projekte in schwarzweiß. Warum kommt Farbe für Dich nicht in Frage?
Ich bin immer beeindruckt, was Kollegen in Farbe zaubern. Die Vielfalt der farblichen Ausdrucksmöglichkeiten ist enorm. Ich finde beispielsweise den brachialen Naturalismus eines Martin Parr großartig, den Stil von Joel Meyerowitz extrem inspirierend und die farbigen Arbeiten von Saul Leiter umwerfend, um nur einige der Großen zu nennen.
Ich selbst bin von Zeit zu Zeit auch immer wieder versucht und experimentiere in Richtung Farbfotografie. Letztendlich sind es aber immer die Schwarzweißarbeiten, die mich bewegen, mich festhalten und berühren.
Ich muss die Alltäglichkeit mit anderen Augen sehen. Und ich möchte, dass die Menschen, die meine Bilder betrachten, das ebenfalls tun. Denn darin geht es um Szenerien und Momente, wie sie jede*r nahezu täglich sehen kann – tatsächlich aber selten wahrnimmt. All diese Szenerien bleiben ungesehen. Denn unser Blick ist verstellt, unser Geist heute schon im morgen und unser Auge taub von den Nadelstichen der digitalen und farbigen Bilderflut.
Ich möchte, dass meine Bilder dazu beitragen, innezuhalten. Der Verzicht auf Farbe seziert die Normalität urbanen Lebens und gibt uns Zeit, eigene Gedanken und Geschichten darin zu entwickeln. Der Verzicht auf Farbe reduziert das Übliche auf das Wesentliche. Der Mensch in der Alltäglichkeit seines Seins und Tuns – Schwarz und Weiß, Licht und Schatten, Kontraste und Strukturen. Darum geht es mir.
Welche kleinen und großen Erfolge konntest Du mit Deinen Arbeiten bisher erreichen?
Ich beackere das Feld der Straßenfotografie erst seit zwei Jahren. Neben Auszeichnungen auf diversen Fotografieplattformen im Netz und einer Veröffentlichung im April 2018 im EYE-Magazin gab es bislang einige Ausstellungen und Top-Ten-Platzierungen bei Wettbewerben. Aktuell habe ich eine Anfrage einer Bank nach mehreren Bildern und ich verkaufe kontinuierlich Bilder an private Sammler. Da gibt es auch schon einige Stammkund*innen, was mich sehr freut.
Gibt es ein Bild, das in einem besonderen Moment entstanden ist und an das Du Dich jetzt spontan erinnerst? Was hat es damit auf sich?
Puh, so viele Bilder, so viele Geschichten. Schwer, sich zu entscheiden. Ich nehme mal dieses, weil es auch symptomatisch für das Thema Straßenfotografie ist.
Am Fotografie Forum Frankfurt war mir ein Plakat aufgefallen. Es handelte sich dabei um eine Fotografie von Lurdes R. Basoli. Mein Plan war, eine Situation einzufangen, in der Passant*innen mit dem Plakat interagieren. Also fuhr ich hin.
Als ich dort ankam, sah ich schon von weitem einen Arbeiter davor sitzen. Oh Mann, dachte ich, geh weg, ich will hier fotografieren. Tat er aber nicht. Er saß da, rauchte und beschäftigte sich mit seinem Smartphone. Um die Zeit zu überbrücken, machte ich ein paar Schüsse aus verschiedenen Perspektiven. Das ging etwa zehn Minuten so. Dann stand er auf und ging – ohne mich überhaupt bemerkt zu haben. Gut, dachte ich, jetzt kann’s ja losgehen. Und ich konnte „endlich“ damit beginnen, meinen Plan in die Tat umzusetzen.
Ungefähr eine Dreiviertelstunde lang fotografierte ich die unterschiedlichsten Szenerien und Kombinationen. Menschen mit und ohne Schirm, Asiat*innen, Europäer*innen, Menschen beim Laufen, Schauen, Stolpern – alles. Gut, dachte ich. Schöne Sachen dabei. Und ging.
Beim Sichten und Entwickeln der Bilder gab es dann die Überraschung. Es gab ein Bild, das aus allen anderen hervorstach: „Water Love“. Es war das erste Bild, das ich an diesem Tag aufgenommen hatte. Und zwar in den zehn Minuten, als ich ja eigentlich noch gar nicht begonnen hatte zu fotografieren, sondern nur wartete.
Die Spannung in diesem Bild fasziniert mich bis heute. Der Arbeiter, der die Schwimmerin hinter ihm offenbar gar nicht bemerkt, versunken in seine virtuelle Welt. Die Schwimmerin, die eigentlich gedruckte, tote Materie ist und trotzdem ganz lebendig mit den Betrachtenden kommuniziert, ihnen zuzuzwinkern scheint.
Jede*r sieht in diesem Bild etwas anderes. Auf einer Vernissage sprach mich ein sehr sympathischer, junger Mann an und erzählte mir, dass er vor ein paar Jahren als Bootsflüchtling aus Syrien nach Deutschland kam. Dieses Bild berühre ihn sehr. Er sah darin die ganze, aktuelle Geschichte und Situation seines Volkes und die Europäer*innen, die den Menschen, die über das Wasser kommen, den Rücken zukehren.
Und ich? Ich habe eigentlich nur gewartet. Gewartet, bis ich das Bild machen konnte, das ich im Kopf hatte. Und dabei habe ich dann ein ganz anderes gemacht. Vielleicht würde ich die Situation heute schneller erkennen, anders einschätzen, aktiver damit umgehen. Ob dadurch aber ein besseres Bild entstehen würde, weiß ich nicht.
Vieles was hier passierte, steht ganz ursächlich für meine Auffassung von Straßenfotografie. Du hast einen groben Plan im Kopf, irgendeine Idee. Und auf dem Weg zu dieser Idee geschehen ganz viele, unvorhersehbare Dinge. Ab hier spielen dann Intuition, Erfahrung und das ganze inhalierte Wissen um Bilder, Komposition, Licht, Kontraste, Strukturen und Geschichte die Hauptrolle. Wenn das zusammenkommt und noch eine Prise Glück im Spiel ist, dann entsteht ein gutes Bild.
Welchen Tipp kannst Du Gästen Frankfurts in Sachen Straßenfotografie mitgeben?
Wie immer: Treibt Euch herum, assimiliert Euch, macht Euch unsichtbar. U-Bahnfahren hilft. Dort entstehen oft schon gute Situationen und es sind sehr viele unterschiedliche Menschen ganz automatisch dicht an Euch dran. Außerdem kommt Ihr so schnell von einem Ort zum anderen. Nutzt die unterschiedlichen Strukturen, Texturen, Architekturen – Frankfurt ist voll davon. Ich persönlich beziehe gern Plakate, Typografie oder Schilder in meine Bilder mit ein.
Gutes Schuhwerk, Ersatzbatterien und Speicherkarten – und los geht’s. Wenn es dunkel wird, nicht aufhören! Jetzt geht’s erst richtig los. Wer noch nicht da war, kann abends einfach mal ins Bahnhofsviertel gehen. Es gibt viel Licht und viele Kontraste. Auch wenn vieles schon fotografiert ist, findet man immer wieder Situationen und Stellen, die in der Form noch keiner aufgenommen hat.
Was, wen oder wo würdest Du gern mal fotografieren?
Immer dort, wo es lebendig und für unser europäisches Auge merkwürdig ist. Klassisch also natürlich New York und andere amerikanische Städte, aber auch Asien, Tokyo, Hongkong, etc. Vor allem die Nächte dort finde ich spannend und auch da wieder die urbane und fremde Typografie als Teil des Motivs.
Herzlichen Dank für dieses Interview Max, vielleicht begegnen wir uns eines Tages in den Großstädten dieser Welt.
Das Interview erschien bereits im Magazin Soul of Street. Wir veröffentlichen es mit freundlicher Genehmigung.
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