Auf der Rabindra Sarani, der ältesten Straße Kalkuttas, wurden Mitte des 18. Jahrhunderts hunderte Paläste gebaut und mit ihnen entstand ein neuer Architekturstil: die Mogularchitektur. Sie ist ein Mix aus viktorianischer und traditioneller indischer Architektur.
Kalkutta wurde als Handelsposten der Britischen Ostindien-Kompanie gegründet und war von 1773 bis 1911 die Hauptstadt von Britisch-Indien. Als bengalische Kaufleute zu Wohlstand gelangten, wollten sie diesen mit ihren Häusern auch nach außen zeigen. Ihre Paläste hatten typische Elemente der indischen Kultur, ahmten aber gleichzeitig auch die Bauten der Kolonialmacht nach.
An ihren Häusern sieht man auch heute noch Säulen, Skulpturen und Verzierungen, die auf klassizistischen Bauten zurückgehen. Stucklöwen oder Venusstatuen dienten als Statussymbole, um die damaligen Kolonialheeren zu beeindrucken.
Aber gerade diese werden den Palästen zum Verhängnis, denn die Instandsetzung ist aufwändig und kostenintensiv. Im tropischen Klima überdauern die feinen Verzierungen nur kurzfristig, wenn sie nicht regelmäßig restauriert werden. Dafür aber fehlt das Geld und zum Teil auch das Bewusstsein über dieses kulturelle Erbe, berichtet mir die Architekturfotografin Silke Schmidt. Sie hat in den vergangenen Jahren rund 50 der Gebäude fotografiert.
Wie viele Paläste der Mogularchitektur es zurzeit noch in Kalkutta gibt, ist schwer zu sagen. Vor wenigen Jahren waren es noch fast 300. Aber mit jedem Jahr und jedem Monsun werden es weniger.
Als die indische Hauptstadt 1911 nach Neu-Delhi verlegt wurde, zog auch der Reichtum weiter. Mit der Unabhängigkeit Indiens 1947 flüchteten viele Menschen nach Kalkutta. Bald darauf wurden Landeigentumsgrenzen festgesetzt, wodurch die Macht der Großgrundbesitzer stark beschränkt wurde. Auch Familienstreitigkeiten stehen dem Wiederaufbau im Weg. Noch während über die einzelnen Paläste verhandelt wird, verfallen sie einfach.
Es ist sehr traurig, diese schönen Gebäude in diesem Zustand zu sehen. Zum Teil kann man sie nicht mehr betreten, weil die Gefahr eines Einsturzes zu groß ist.
Als ich die Paläste mit Lost Places vergleiche, verbessert mich Silke jedoch:
Alle Häuser sind bewohnt. Trotz der Warnschilder leben zum Teil bis zu 100 Menschen in ihnen. Die Wohnungsnot ist groß und die Menschen leben von der Hand in den Mund. Da ist der Erhalt einer Architektur natürlich eher zweitrangig.
Umso wichtiger ist es, das kulturelle Erbe zumindest im Bild zu erhalten. Aber auch das ist nicht immer einfach, erzählt mir Silke. Rana, ein vor Ort ansässiger Führer und Übersetzer half ihr, in Kontakt und Austausch mit den Besitzer*innen der Paläste zu treten. Doch der Aberglaube vor schwarzer Magie und negativen Energien machte einige Familien sehr misstrauisch.
Eine Familie konnte keine Kinder bekommen und hat deshalb viele Kinder adoptiert. Sie sind angewiesen, niemanden an oder in das Grundstück zu lassen, aus Angst, dass noch einmal Unglück über die Familie kommt. Dort konnte ich auch von außen keine Fotos machen, da die Kinder die Straße bewachten.
Dort, wo sie fotografieren durfte, nutzte Silke ein Shift-Objektiv, um stürzende Linien zu vermeiden. Zudem hatte sie immer eine Leiter dabei, um die Paläste über die Köpfe der Vorbeilaufenden dokumentieren zu können. Gelernt hat Silke die Fotografie an der Hochschule für Künste Bremen. Im Rahmen des Studiums wurde sie auch auf die Paläste aufmerksam und bekam die ersten Kontakte zu Besitzer*innen.
Auf meine Frage, ob sie noch einmal nach Kalkutta möchte, um die restlichen Häuser zu fotografieren, zögert sie.
Ich habe 2006 das erste Mal die Häuser im Rahmen meines Studiums fotografiert. Dieses Jahr war ich erneut vor Ort, um den fortschreitenden Verfall zu dokumentieren. Da gab es wahrscheinlich nur noch 100 Paläste und Tempel. In wenigen Jahren wird es nichts mehr zum Fotografieren geben. Der Verfall geht sehr schnell.
Ob es völlig hoffnungslos sei, dass zumindest einige der Gebäude erhalten bleiben, frage ich sie.
Nein, aber es werden nur sehr wenige sein. In einem Palast ist eine Universität eingezogen. Dieser wird weiterhin restauriert. Auch ein Tempel in der Mogularchitektur steht noch in Kalkutta. Aber der Großteil der Gebäude ist verloren.
Mehr der Bilder der Paläste findet Ihr auf der Homepage von Silke.
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