Collagen sind so eine Sache: Wenn man sie selbst abfertigen „soll“, fühlt man sich vielleicht unangenehm an die Schulzeit erinnert, in der wir sicherlich alle einmal ein buntes Magazin zu Collagezwecken zerlegen mussten. So mag die Technik profan wirken, doch eine genauere Betrachtung und das Ausprobieren lohnen!
Gerade weil mir die Collage (sogar aus weiteren Unterrichtsfächern neben Kunst) so vertraut zu sein scheint, war ich geradezu überrascht, als ich bei der Recherche darüber stolperte, dass sie kunstgeschichtlich erst etwa ein Jahrhundert auf dem Buckel hat. Picasso und sein Kumpel Braque klebten im Kubismus alles Mögliche auf ihre Leinwände.
Das erklärte mir dann auch meine Verwunderung darüber, dass man zum Beispiel im Max-Ernst-Museum in Brühl unzählige Collagen aus dem Werk von Max Ernst ausgestellt findet. Erst vor ein paar Monaten hatte ich dort seine Collageromane gesehen; Max Ernst hat wohl in der Schule noch nicht collagieren müssen, dieses Spiel mit Bildteilen war in den 1920er Jahren tatsächlich in gewisser Weise ein Novum.
So lange wie die Fotografie gibt es wohl auch schon die Fotocollage, bei der mehrere Fotos oder Fotoausschnitte zu einem Raster, einer Art Fotowimmelbild oder einem neuen Ganzen zusammengesetzt werden – damit war sie dem Kubismus und Dada also etwa 60 Jahre voraus. Man könnte meinen, dass erst die digitale Technik später die Fotomanipulation oder -montage ermöglichte, doch der Kreativität waren auch in den ersten Dunkelkammern schon keine Grenzen gesetzt.
Das ist ein Aspekt, den ich an Collagen besonders spannend finde. Wir meinen, zu wissen, was eine Collage ist und was nicht, doch bei genauer Betrachtung finden wir fließende Übergänge: Wenn ich Bilder neben- oder übereinander setze, wann ist es noch ein Diptychon oder Triptychon und wann wird es zur Collage?
Wann wird die Überlagerung zweier Bilder, gedruckt auf dünnes oder transparentes Papier, zur Mehrfachbelichtung? Erst, wenn sich der Vorgang auf der digitalen Spielwiese nicht mehr daran festmachen lässt, ob die Verschmelzung der Bilder schon in der Kamera oder erst außerhalb davon stattfindet?
Wann wird die naive Collage mit ausgefransten Papierrändern und feine Schatten auf die anderen Teile werfenden Schnipseln zur surrealen Fotomontage, zum perfekten Trompe-l’œil, das wir nur deshalb enttarnen können, weil wir wissen, dass Blauwale nicht zwischen Wolken am Himmel herumfliegen?
Inspiration
Wenn man dann schon einmal Schere und Kleber parat hat, sind weitere kreative Interventionen des Materials mit Pinsel und Farbe, Nadel und Faden oder nicht-fotografischen Schnipseln auch nicht mehr weit und man ist im zauberhaften Land von „Mixed Media“.
Und in Photoshop Versierte kribbelt es in den Fingern, aus der einfachen Zusammenstellung von Teilen eine realistische Illusion zu schaffen. So kommt es, dass wir im Magazin bisher gar nicht so viele klassische Collagen gezeigt haben wie die von Rocío Montoya oder Eva Gjaltema. Auch noch ganz analog: David Samuel Stern und Isabel M. Martinez verweben ihre Fotos, bei denen jeweils zwei zu einem Bild verschmelzen.
Bei Lisa Zappe gesellen sich zum fotografischen Ausgangsmaterial Kritzeleien und Gefundenes. Unsere frühere Redakteurin Laura Su Bischoff hat ihre Polaroidlifts hingegen um Federn, Schmetterlingsflügel oder Blumen ergänzt, während bei Chantal Convertini Papier aufreißt und den Blick auf weitere Ebenen freigibt.
Neben Animationen und zerrissenem Papier kommen bei Anna Malina gern bunte Fäden zum Einsatz, die ins Papier genäht werden. Nadel und Faden haben es auch Jose Romussi angetan, der Fotos damit um Botschaften oder das Berliner S- und U-Bahn-Netz ergänzt. Charlotte Grimm hat ihre Fotocollagen mit Acrylfarbe und Kreide fast in Gemälde verwandelt.
Und Kat Kapo – nunja. Sie mahnt: Mit dem Essen spielt man nicht! Und doch landeten bei ihr unzählige Lebensmittel zwecks sanfter Umschmeichelung weiblicher Kurven auf Aktfotografien längst vergangener Zeiten. Vintagefotos nutzen neben Kat Kapo auch Jane Long und Francesco Romoli als Ausgangsmaterial für ihre digitalen Visionen.
Kurz vor oder hinter der Grenze zur digitalen Fotomontage begegnen wir Jim Kazanjian, der verrückte und unmögliche Häuser baut oder Yang Yongliang, der sich nicht mit einzelnen Gebäuden begnügt, sondern ganze Landschaften aus ihnen collagiert – zugegeben, etwas ambitioniert für ein Wochenprojekt.
Vielleicht halten wir es eher mit Bjorg-Elise Tuppen, die für die bereits erwähnten fliegenden Meeresbewohner zuständig ist, oder Patty Mahers imaginären Landschaften, denen trotz Entstehung im Universum der Pixel noch der Charme analoger Collagen anhaftet, bei denen die Ausleuchtung der Einzelteile nie so ganz zusammenpasst.
Ist Dir das alles viel zu viel? Keine Sorge, es geht auch viel einfacher. Anne Henning hat sich an dieser Stelle vor ein paar Jahren schon Gedanken zu kombinierten Bildern gemacht. Und auch die Arbeiten von Mark Bartkiw basieren auf der verblüffend einfachen Kombination von oft nur zwei Bildern.
Rund um diesen Text seht Ihr übrigens Collagen, die ich mit eigenem Fotomaterial angefertigt habe. Sozusagen, um mich selbst der Herausforderung zu stellen und durch Herumbasteln seelisch-moralisch auf das Thema einzuphilosophieren.
Ich hatte schon seit Jahren das Bedürfnis verspürt, zu collagieren und zu diesem Zwecke Kalender voller alter, botanischer Illustrationen und stapel- und jahrgangsweise Fotomagazine als Material dafür gesammelt. Im letzten Herbst machte ich mich dann ans Werk und erstellte eine erste Serie Collagen, bisher nur auf Instagram veröffentlicht.
Fremde Fotos zu nutzen und aus einem großen Pool wählen zu können, ist allerdings so gesehen „keine Kunst“, wenn man einmal von der Qual der Wahl absieht. Braucht man für die Umsetzung einer Idee eine Maus, wird man sie irgendwo finden – oder gleich ein ganzes Rudel.
Für die Collagen hier schränkte ich mich also auf eigene Bilder ein und noch dazu solche, die ich aus der Vergangenheit schon als Drucke vorliegen hatte. Ich wollte mich überraschen lassen, kramte lange und fand nur ein Dutzend schwarzweiße Abzüge analoger Aufnahmen. Eine schöne kreative Einschränkung, da ich bisher immer nur mit Farbfotos collagiert hatte.
Es hätten mir hierfür drei, vier Bilder ausgereicht, doch nachdem ich die meisten Fotos zum Abbauen der ersten Angst vollständig in Einzelteile zerlegt und schon einiges zu Entwürfen kombiniert hatte, sah ich, wie sich der Stapel lichtete. Ein neues Ziel drängt sich auf: Alle Teile verwenden.
Ablauf
Ihr habt eine Woche Zeit, eine Collage zu erstellen. Verlinkt dazu Euer Bild in den Kommentaren, nutzt den Hashtag #kwerfeldein52 in den sozialen Medien oder schickt uns Euer Foto ganz einfach bis zum 11. Februar 2020 per E-Mail. Wir zeigen jeden Samstag eine kleine Auswahl der Einreichungen zu den wöchentlichen Themen.
Bitte arbeitet mit eigenen Bildern, zum Beispiel Drucken, die Ihr schon in der Schublade liegen habt, damit wir die Arbeiten hier auch zeigen können. Oder, wenn Du die ganz große Herausforderung suchst, zieh noch los, um aktuelle Bilder zu machen, bestell Abzüge, die bis zum Ende der Woche da sind und puzzle damit dann am kommenden Wochenende.
Auch wenn das Projekt „52 Wochen“ heißt, könnt Ihr jederzeit mit einsteigen, nur jede zweite Woche mitmachen oder einfach dann, wenn es Euch zeitlich oder thematisch am besten passt. Es ist eine Einladung, sich persönlichen Herausforderungen zu stellen und Neues zu kreieren!
kwerfeldein – Magazin für Fotografie https://ift.tt/36N2ZlO
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