Ein Beitrag von: Danny Merz
Als Fotograf*in nach dem Schwerpunkt der eigenen Arbeit gefragt zu werden, ist nichts Ungewöhnliches. Lautet die Antwort Geburtsfotografie und man erntet keinen mindestens erstaunten Blick, darf man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, nicht richtig verstanden worden zu sein. Denn kann sich das Gegenüber im Ansatz etwas unter Geburtsfotografie vorstellen, ist eine „normale“ Reaktion hier zur Zeit noch eher eine (mindestens) überraschte.
Das reicht von Sprachlosigkeit (vier Sekunden können wirklich, wirklich lang sein) gefolgt von einem „aaahja“, das einen sofortigen Themenwechsel einleitet – mal mit, mal ohne Erröten – über „Wer will denn sowas“ oder einer leider nicht unterdrückten Anhäufung von Vokalen, die verrät, dass man sich das irgendwie eklig vorstellt. Und manchmal kommt auch die Frage auf, ob das jetzt so ein Trend sei.
So ein Trend?
An diese Stelle gehört vielleicht eine kleine Information: Im deutschsprachigen Raum gab es schon vor über zehn Jahren Fotograf*innen, die mehr oder minder regelmäßig Geburten mit der Kamera begleitet haben. Auch wenn es nur verschwindend wenige waren, ist die Geburtsfotografie also nicht gerade erst – aus beispielsweise den USA – zu uns „rübergeschwappt“. In den Privatarchiven von Familien dürften Film- und Fotoaufnahmen von Geburten übrigens schon existieren, seit es Kameras gibt.
Verortet man die Geburtsfotografie zudem dort, wo sie meiner Meinung nach auch hingehört – nämlich innerhalb der dokumentarischen Fotografie – stellt sich die Frage nach dem Trend ohnehin nicht mehr.
Richtig: Erst seit ungefähr ein, zwei Jahren erreichen mehr und mehr professionelle Fotos von Geburten hierzulande eine größere Öffentlichkeit. Versteht man „Trend“ also im Sinne von „es ist etwas für die Öffentlichkeit Neue(re)s“, könnte man es wohl so stehen lassen.
Dennoch löst der Begriff „Trend“ auch etwas in mir aus, von dem ich nicht möchte, dass es auch nur in die Nähe einer einzigen Geburtswehe gelangt. Und zwar dann, wenn er in dem Sinn gebraucht oder verstanden wird, dass Geburtsfotografie gerade irgendwie „hip“ ist (oder was man dafür heutzutage auch immer für einen Begriff verwendet), eine Art Must-have für die modernen, aufgeschlossenen Eltern von heute. Oder eine aufregende neue Herausforderung für Fotograf*innen.
Es mag keinen Sinn ergeben, das als leidenschaftliche Geburtsfotografin so zu schreiben – zumal es mir ein großes Anliegen ist, dass die Möglichkeit für eine fotografische Geburtsbegleitung nach und nach auch im deutschsprachigen Raum die Bekanntheit erlangt, die ihr meiner Meinung nach gebührt. Denn es geht um so viel mehr dabei, als einem kurzlebigen „Trend“ zu folgen.
Zum einen können wir für die Familien, die wir begleiten, unglaublich wertvolle Erinnerungen festhalten. Frauen ihre Kraft, Stärke und Schönheit unter der Geburt durch unsere Aufnahmen spiegeln. Den Zusammenhalt der Eltern und das Willkommensein des neuen Erdenbürgers. Die Geschichte eines Geburtstages bewahren. Und manchmal kann das sogar etwas Heilsames haben.
Zum anderen dürfen wir manchmal auch Geburtsgeschichten teilen. Geschichten, die Mut machen. Inspirieren. Authentisch sind. Und wenn wir dann noch ein Stückweit dazu beitragen können, ein positives Bild von Geburt in die Welt zu tragen und dadurch Frauen in ihrer Selbstbestimmtheit zu stärken, ist schon viel gewonnen.
Natürlich tragen wir hinsichtlich der Frage, welche Bilder wir wo in welchem Kontext zeigen auch eine Verantwortung. Die Verantwortung, die eine Tätigkeit als Geburtsfotograf*in mit sich bringt, ist es vielleicht auch, was mich am Begriff „Trend“ ein wenig anecken lässt.
Wir begleiten einen Prozess, in dem die Frauen einerseits in ihrer Stärke über sich hinauswachsen, aber gleichzeitig auch in höchstem Maße verletzlich sind. Und es muss höchste Priorität haben, dass wir als Fotograf*innen hier die niedrigste Priorität haben (um es mal überspitzt auszudrücken). Teil des Geburtsteams werden. Dass wird diesen Prozess, diese einmalige Reise und die Achtung davor über alles andere stellen.
Es geht um die Geschichte.
Und dass wir für „unsere Familien“ da sind. Ungeachtet vom Verlauf einer Geburtsreise. Denn es geht – meiner Meinung nach – immer auch um die ganze Geschichte. So ist es absolut verständlich und in Ordnung, neben der Freude über das neue Menschenkind auch enttäuscht zu sein, wenn man es – beispielsweise bei einer sehr schnellen Geburt – nicht schafft, rechtzeitig vor Ort zu sein. Entscheidend ist der Umgang mit dieser und ähnlichen Situationen.
Kehren wir frustriert um oder schenken wir der Familie Fotos aus jenen magischen ersten Stunden? Erzählen durch unsere Bilder direkt oder indirekt vom rasanten Tempo dieser Geburt und dem Erstaunen und der Erleichterung, die sich noch auf den Gesichtern der Eltern abzeichnen? So hart das vielleicht klingen mag: Es geht in diesem Moment nicht um uns, den berühmten „crowning shot“ oder irgendein Portfolio. Es geht darum, im Rahmen unserer Möglichkeiten da zu sein und festzuhalten, was ist. So nicht ideal und anders als gedacht es vielleicht auch sein mag.
Natürlich gibt es auch Momente, in denen es angebracht ist, die Kamera aus der Hand zu legen. Vielleicht den Raum zu verlassen. Weil es die Situation erfordert oder der Wunsch der Familie ist. Auch das sollte zu jeder Zeit absolut in Ordnung sein. Und für noch etwas tragen wir die Verantwortung: Dafür, dass die Geburtsfotografie auch in zehn, fünfzehn Jahren noch möglich sein wird im deutschsprachigen Raum – auch jenseits von Hausgeburten.
Es ist kein Geheimnis, dass die Geburtshilfe vor allem in Deutschland gerade mit einigen Problemen zu kämpfen hat. Allen voran die Geburtshelfer*innen. Wir werden nicht immer mit offenen Armen empfangen und einige Krankenhäuser tun sich sehr schwer mit der Entscheidung, ob in ihrem Kreißsaal fotografiert werden darf. Das ist in erster Linie sehr schade für die Eltern, die sich dann manchmal entscheiden müssen zwischen ihrem Wunschkrankenhaus und dem Wunsch nach fotografischer Begleitung.
Das liegt nicht in unserer Hand. Was aber in unserer Hand liegt, ist der Eindruck, den wir hinterlassen, wenn wir Zutritt zu einem Geburtsraum, Kreißsaal oder sogar Operationssaal gewährt bekommen. Wir alle also, die wir jetzt und in den kommenden Jahren professionell Geburten fotografieren, haben die Chance, dieses wachsende Genre mitzugestalten. Weichen zu stellen. Ja, sogar ein bisschen mit zu „lenken“, welche Bilder von Geburt, welche Geburtsgeschichten die Öffentlichkeit erreichen.
Und vielleicht ist es ebenfalls als Auftrag zu verstehen, uns dieser Verantwortung bewusst zu sein. Natürlich ist diese Verantwortung nicht zu vergleichen mit der von Geburtshelfer*innen. Aber vielleicht kann man sagen, wir tragen die von Geburtsbewahrer*innen. Wir sind die Augen, mit denen die werdenden Eltern, die Familie sich in diesen so prägenden Momenten selbst nicht sehen kann. Wir sind die Zeug*innen der Stärke, Schönheit, Liebe und vielleicht des Kampfes – auf jeden Fall der Reise. Und des Wunders.
Wir beeinflussen nicht den Prozess, aber entscheiden, welche Momente wir für „unsere Familie“ bewahren. Und weil das zweifelsohne einer der schönsten Berufe überhaupt ist, lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass mehr und mehr Familien von der Möglichkeit einer fotografischen Geburtsbegleitung erfahren. Lasst uns zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen, die sich unterstützt, die Herausforderungen dieser wunderbaren Tätigkeit miteinander teilt und an den selbst gesteckten Ansprüchen wächst – davon profitieren schlussendlich nicht nur wir, sondern ebenso die Familien, die wir begleiten.
Lasst uns Verantwortung übernehmen. Und wer weiß, vielleicht ist ja eines Tages die überwiegende Reaktion auf Geburtsfotografie als Schwerpunkt einfach ein simples, beinahe selbstverständliches „Ah, das kenne ich – toll!“ Und wir sind dann die Überraschten.
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