Thursday, October 3, 2019

ZEN$UR auf Instagram

Ein Beitrag von: Chantal Convertini

„Warum regst Du Dich denn so auf? Es ist doch nur eine App.“ – Und die, die das zu mir sagen, haben Recht. Nur ist diese App, glaubt man den neuesten Zahlen, heutzutage eine Milliarde Accounts schwer und mit 500 Millionen täglich aktiven Mitgliedern die größte Social-Media-Plattform der Welt: Instagram. Und da breiten sich Ungerechtigkeiten aus wie Lauffeuer, genauso wie im echten Leben auch.

So sehr ich mir wünsche, nicht abhängig zu sein von dieser Plattform, so komme ich nicht drum herum, mich etwas ausgeliefert zu fühlen. Als freie Künstlerin, die leidenschaftlich ihre Kunst verfolgt und nichts weiter davon möchte, als sie für sich selbst zu betreiben, hätte ich wahrscheinlich das ganze Spiel längst verlassen. Zu oberflächlich, zu überlaufen von Werbung ist der einstige Ort der Inspiration geworden.

Als freiberufliche Fotografin und Künstlerin kann ich es mir aber nicht mehr leisten, kein Instagram zu haben. Zumindest ist das wahr, solange das auch diejenigen glauben, mit denen ich zusammenarbeite. Und so fängt der ganze Teufelskreis an.

Frau im Lichtschein

Ich habe Instagram eher als Nachzüglerin entdeckt. Als ich mich der App anschloss, wollte ich zu Beginn eigentlich nur meine neue Fotoseite auf Facebook bewerben – was nun ironischerweise sowieso dasselbe ist. Ich war begeistert. Die Beiträge erhielten sehr schnell viel mehr Likes als auf Facebook und schon bald bewarb ich mit Instagram nicht mehr meine Facebookseite, sondern ließ diese komplett vernachlässigt, um dem aufstrebenden Profil, das ich ohne Nachzudenken „paeulini“ getauft habe, Platz zu machen.

Ich fand recht schnell meinen Weg in die analoge Fotografie und Instagram vernetzte mich mit meinen heutigen Held*innen. Allen voran mit Ryan Muirhead, amerikanischer Fotograf und Künstler, der bis heute eine der authentischsten, transparentesten Persönlichkeiten ist, denen ich das Vergnügen habe zu „folgen“. Seine Aufrichtigkeit über sich, wie er die Welt sieht und insbesondere sein Kampf gegen die Zensur des weiblichen Körpers haben mich, gelinde gesagt, tief beeindruckt.

Frau mit zerrissenem Papier vor dem Körper

Er hatte wohl den stärksten Einfluss auf meine eigene Arbeit. Nicht so sehr bildinhaltlich gesprochen; mehr, wie ich mich als Person auf dieser Plattform zeigen möchte: erbarmungslos offen und ehrlich. Dies hatte insbesondere zwei Dinge zur Folge.

Die eine ist die wundervolle Seite dieser App, die es neben dem Business-Aspekt auch unglaublich schwer macht, zu gehen: Meine Arbeit und meine Worte, die mein Innerstes offenbarten, wurden regelrecht mit herzerwärmendem Feedback überflutet. Ich bekam eine überwältigende Menge Ermutigung, dass meine Arbeit etwas wert sei und dass ich – auch gegen einige Stimmen meiner Lehrkräfte – Kunst mache und nicht einfach nur so rumknipse.

Die Konsequenz daraus, die Schattenseite von Instagram, die sich erst nach und nach bemerkbar macht, ist gut getarnt. Sie wird ziemlich erfolgreich überdeckt von dem, was so laut und schillernd im Vordergrund steht. Man wird langsam in das Ganze eingesogen. Man steht schon tief im Treibsand, wenn man mal nach unten schaut.

Faru mit Farbklecks über dem Körper

Bild in Zusammenarbeit mit Jennifer Mildenberger

Die erste riesige Veränderung, die Instagram laut angekündigt hat, die mit den Konsequenzen der App zu tun hat, war die Einführung des berühmt-berüchtigten „Algorithmus“. Scheinbar, um den Mitgliedern zu helfen, indem nur das angezeigt wird, was uns wichtig sei, führt Instagram im Juni 2016 ein Werkzeug ein, um Milliarden zu verdienen.

Mit der Macht, selbst zu bestimmen, wann, was und wie es gezeigt wird, gibt sich Instagram die Möglichkeit, Werbung dazwischen zu schalten und sich für diese rigoros bezahlen zu lassen. Seither wurden unsere privaten Profile regelrecht bombardiert mit Werbung: Schleichwerbung, Influencer-Werbung, bezahlte Werbung. Dies allein empfand ich als Verunstaltung der App, doch was im April 2019 passierte, war wie ein Schlag ins Gesicht.

Mit den Jahren kam ich meiner Essenz und dem, was ich in der Fotografie machen möchte, immer näher. Die Stimmen, die mir sagten, dass ich nur Haut zeige, um Aufmerksamkeit zu erlangen, oder Selbstportraits mache, weil ich narzisstisch sei, waren schnell zum Schweigen gebracht durch die offensichtliche Unterstützung und Bestätigung tausender Menschen, die mir folgen. Ich wusste es besser. Und meine Follower auch.

Frau mit Händen über den Augen und Farbe auf den Brüsten

Bild in Zusammenarbeit mit Jennifer Mildenberger

Der weibliche Körper in all seiner Schönheit wurde zu oft, zu einseitig und zu oberflächlich verkauft, vermarktet und ausgebeutet. Ich fand in der Gesellschaft der Kreativen, denen ich folgte, Hoffnung und Inspiration, dass ich und alle anderen Frauen doch mehr sind und sein können. Ich fand eine Art Selbstbestimmung und ein Selbstbewusstsein, das nichts mit Äußerlichkeiten zu tun hat.

Und dann kamen die neuen Community Guidelines. Im schieren Wachstum der Nutzungszahlen und der Angst, Instagram könnte zur schlechten Pornoseite werden, verschärfte die App die Regeln zur Nacktheit auf ihrer Plattform. Was logisch klingt, passiert aber auf so korrupte Art und Weise, dass ich die Aufrichtigkeit der Absichten aus mehreren Gründen in Zweifel ziehe.

Hier sei angemerkt, dass die Diskussion um die Zensur des weiblichen Nippels schon älter ist. Die Grundregeln der App, die von Anfang an geltend gemacht wurden (inklusive des Verbots der Darstellung von Geschlechtsteilen, Gewalt oder Sex), erschienen mir, bis auf die einseitige Verbannung weiblicher Nippel, logisch und fair.

Zum anfänglichen Zeitpunkt hat es meine eigenen Bilder auch noch nicht annähernd betroffen, ich war einfach bereit, meine Idole zu unterstützen, weil ich die Zensur weiblicher Nippel für ihre Kunst als eine regelrechte Verunstaltung wahrnahm.

Frau mit Schaufensterpuppe

Dies änderte sich schlagartig, als Instagram nun auch das, was ich als meine Kunst mit den Menschen, die mir so treu gefolgt sind, teile, als „suggestiv“ und „sexuell“ einstufte, auch wenn man in meinem Schaffen unzensiert kaum einen Nippel sehen würde. Nicht, dass andere Arbeit zwingend suggestiv sein muss, weil man genannte Körperteile sieht. Dies möchte ich noch einmal betonen – ich bin überzeugt, dass die Sexualisierung des Körpers im Angesicht der Gesellschaft das Problem ist und nicht der Körper selbst.

Und auch meine Arbeit war nie und wird auch nie auf die Ebene der Erotik abzielen, in meinen Augen habe ich es sehr wohl geschafft, meine Arbeit das sprechen zu lassen. Ich bin jemand, der versucht, mit den altbekannten, vertrauten Inhalten des weiblichen Körpers, die unzählige Male für objektivierende Zwecke genutzt wurden, etwas gänzlich anderes zu schaffen. Ich mache mir meinen Körper zu eigen oder auf die Bilder, die ich mit anderen Frauen kreiere, bezogen: Ich erzähle die Geschichte der Frauen aus der Perspektive einer Frau.

Diese Überzeugungen sind der Inbegriff meiner Arbeit und als Instagram von heute auf morgen jegliche Form von Haut als suggestiv und sexuell einstufte und sich somit gegen ebendiese Überzeugungen stellte, verwandelte sich die Plattform von meiner größten Errungenschaft zu meinem persönlichen Feind.

Frauenakt mit Zensurschrift

Herausgefunden habe ich das alles nicht durch offizielle Kommunikation. Die Änderung sind nie offiziell kommuniziert worden. Weiter noch lässt Instagram im Januar 2019 in einem Beitrag auf Twitter verlauten, dass auch der sogenannte Shadowban nur Mythos sei. Die Realität sieht aber anders aus. Instagram lässt kein bisschen Haut mehr als „sicher“ durchgehen. Und zwar äußert sich dies in mehreren Bereichen.

Die Sichtbarkeit der Beiträge, die ohnehin schon sehr eingeschränkt ist – die Reichweite der Beiträge wird teilweise auf bis zu 10 % reduziert – wird nun noch weiter eingeschränkt. Denn wenn man etwas teilt, auf dem viel Haut zu sehen ist, erscheint dieser Beitrag nicht mehr in der Hashtag-Suche, nicht mehr auf der Explore-Seite und wird nur noch einem Bruchteil der überhaupt nur noch 10 % der Follower direkt gezeigt.

Das heißt konkret, dass Beiträge mit Nacktheit als künstlerische Intention zwar noch geteilt werden können, aber als Geisterbeiträge so weit unten in der Timeline sind, dass sie einfach untergehen in der überfluteten Instagramwelt. Der Shadowban ist eine sehr subtile Form der Zensur, mit der Instagram unterschwellig Weichen stellt, die aber ein tragisches Ausmaß annehmen könnten.

Es geht dabei nicht mehr nur um die Sexualisierung des Körpers, was nur eine Fortsetzung bestehender Werte darstellt, sondern mit dem Shadowban und der Macht über den Algorithmus können ganze Minderheiten oder Meinungen effektiv zum Schweigen gebracht werden.

Frau mit Bildstörung vor dem körper

Ein Computer entscheidet nun, ob ich Kunst mache oder nicht. Und ich sehe das Problem: Warum lasse ich mir von einer App diktieren, was ich als meine Kunst sehe oder nicht? Warum lasse ich mich davon limitieren?

Im Gefüge der Abhängigkeit dieser App habe ich nie selbst laufen gelernt. Ich habe keine Verbindungen in die Kunstwelt. Ich habe kein Geld für Ausstellungen. Ich habe keine bekannten Eltern oder auch nur gelernt, wie man sich in der Kunstwelt behauptet. Ich habe eben auch nie gedacht, dass ich überhaupt zu einem Punkt komme, an dem das zur Diskussion stehen würde.

Und hier ist sie nun, die größte Konsequenz, die ich daraus zu spüren bekomme, weil ich die kleine kultivierte Instagram-Galerie auf meinem Handy zu wichtig nahm, mein Herz hineingeschüttet habe und meine gesamten Bilder mit einer äußeren Validation als Kunst bezeichnen ließ.

Jetzt endlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Wenn das die Hauptform ist, wie ich meine Arbeit zeige und ihr keinen anderen Ort zum Existieren gebe, bleibt meine Kunst immer beschnitten von Regeln, die ich nicht selbst mache. Schlimmer noch: Ich zeige meine Kunst in Rahmenbedingungen, die sie schon im Prozess des Schaffens limitieren.

Sie spielen da mit meinem Kopf und eben nicht nur mit meinem. Nacktheit ist nur okay, wenn sie sagen, es ist okay. Und meine Arbeit würde zudem immer in genau den gleichen Rahmenbedingungen stecken. Und das würde mit Sicherheit ihr Untergang sein. Ich weiß noch nicht, wohin mich mein Weg führt, aber mit Sicherheit weit weg von dieser App.

Frau mit Männerbrust überlagert

Und trotzdem, ich gehe nicht ohne Krawall und Remmidemmi. Denn, wie kann es sein, dass unzählige Accounts gelöscht, zensiert und geshadowbanned werden für das kleinste bisschen Haut, das sie zeigen, aber eine Heidi Klum ihre Nippel doch posten darf? Warum kann der Playboy-Account reihenweise lüsterne Fotos von Frauen auf seinem Profil hochladen, inklusive Nahaufnahmen von unzensierten Gesäßen?

Warum soll ich glauben, Instagram würde einen „sicheren Ort“ für alle schaffen wollen mit der Verbannung von Nacktheit, wenn eine Kylie Jenner ihren komplett unbekleideten Körper präsentieren kann und mit einem winzigen, schwarzen Quadrat über ihrem Nippel davonkommt?

Warum sehe ich in meiner Explore-Seite doch noch Selfies von Männern ohne Shirt, wenn ein Frauenrücken als „suggestiv“ eingestuft wird? Warum können mir Nutzer privat Bilder ihres Geschlechtsteils schicken und danach noch existieren?

Ich folge keiner Seite wie Playboy oder irgendwelchen schillernden Blogger*innen. Alles, was ich jemals wollte, ist, mich in meiner eigenen Welt, in der ich mich bewege, mit meinen Held*innen zu vernetzen. Aber dann vor ein paar Wochen, schon tief in meinem Aufschrei über den Shadowban, hatte ich plötzlich einen Beitrag mit nacktem Po auf meiner Timeline.

Er gehört Cara Delevigne. Dem Supermodel folge ich, weil sie auch Klimaaktivistin ist und ich das unterstützen möchte. Das Foto ist Teil eines dreiteiligen Beitrags, in dem das Modell komplett nackt für Marie Claire posiert. Der Beitrag mit ihrem Po bekommt 1,5 Millionen Likes.

Ich rege mich auf. Mir wurde ein ähnliches Foto gelöscht, sogar weniger deutlich Po, mehr Formen wie Sanddünen, als das von Cara und ich teile es in meiner Story als Vergleich. Und nun wird es richtig absurd: Als ich das Foto ihres Pos in meiner Story reposte, wird es von Instagram gelöscht mit der Notiz, dass es gegen die Gemeinschaftsrichtlinien verstößt. Wenn ich aber nun das Originalfoto von Cara Delevigne melde, heißt es in der Überprüfung von Instagram: „We’ve reviewed caradelevigne’s photo and found that it deosn’t go against our Community Guidelines.“

Danke für die Aufklärung, Instagram, die Regeln gelten also nicht für Prominenz. Und hier fängt es an, richtig schwierig zu werden: Wenn schon vorher fast keine Transparenz geherrscht hat, verlassen meine Spekulationen nun sicheren Boden. Doch der einfache Fakt, dass die ganze Welt sich um diese eine Geschichte dreht, lässt es naheliegen, dass sich auch hier das Spiel wiederholt. Ich rede von der mächtigsten Erfindung der Menschheit überhaupt: Geld.

Der 13-jährige Nutzer mit dem iPhone, den die Community Guidelines versuchen, zu schützen, weiß schon lange, wie er Pornhub benutzt. Auf jeder Seite, auf der man versucht, seinen geliebten Disneyfilm noch einmal anzuschauen, erscheint Werbung für gewaltverherrlichende, pornografische Spiele. Das Internet ist voller Darstellungen der Frau oder generell Körpern, die verkauft und sexualisiert werden. Es ist schade (oder gewollt?), dass es mit all der Technologie nicht möglich ist, die Grenzen besser zu ziehen.

Collage von Körpern

Doch was die Werbetreibenden nicht wollen, wollen die Werbetreibenden nicht. Und die sind es, die das Geld in Instagram stecken und nach denen sich Instagram richtet. Nach ihnen und den verschobenen, verblendeten und manipulierten Meinungen der Massen, denen sie das, was die Werbetreibenden verkaufen, unterschieben wollen. Und am Ende macht Instagram es nur schlimmer, indem es glaubt, es wüsste, was wir hören möchten. Aber wie kann es sein, dass wir wissen, was wir hören möchten, wenn wir es noch gar nicht gehört haben?

In meinen Augen wäre die künstlerische Freiheit, sich mit dem eigenen Körper ausdrücken zu dürfen, eine positive Veränderung, eine Gegenstimme zu all dem Missbrauch. Junge Frauen hätten echte Vorbilder und einen anderen Zugang zu sich, als nur das, was uns verkauft wird.

Expression, Kunst und die Fähigkeit seine Emotionen auszudrücken, wäre etwas, das endlich zu einem ganzheitlichen Bild verholfen hätte. Es hätte ein Stück Normalität und Verhältnismäßigkeit zurück in unser Leben gebracht. Oder seit wann ist denn ein Foto eines 9-jährigen Jungen, der im Wasser spielt, etwas anderes als unschuldig?

Aber auch dieses Mal drückt die Stimme der Gesellschaft durch und sie ist immer noch gewillt, das Opfer zu zensieren und nicht den Täter. Ich sehe mich gezwungen, den Tatsachen wieder ins Auge zu sehen. Die Sexualisierung und Zensur von Körpern, insbesondere der Frau, ist ein Ausdruck davon, wie unsere Welt tickt und es ist eine traurige Wahrheit, aber: It’s a man’s world.

Auf Instagram ist die Schlacht verloren, ich werde diese Plattform nicht mehr zum zentralen Ankerpunkt meiner Arbeit machen. Die Regeln der Zensur kann man nicht ändern, wenn es das ist, was das Geld diktiert. Instagram wird sich so früher oder später das eigene Grab schaufeln, aber meine Kunst ist solange Kunst, bis ich das Gegenteil behaupte.


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