Thursday, September 28, 2017

Wie ich auf einmal Schauspieler*innen fotografierte

Frauenportrait

Ein Beitrag von: Lutz Michen

Vor etwas mehr als einem Jahr bestand meine fotografische Welt noch primär aus dem Anspruch, Urlaubserinnerungen einigermaßen vorzeigbar einzufangen und bei Bedarf Bekannte zu knipsen. Schließlich war ich „der mit der guten Kamera“.

Da Schauspiel (ganz gleich ob Film oder Theater) schon immer eine gewisse Faszination auf mich ausübte und ich meine Freizeit schon oft mit dem einen oder anderen Theaterclub ausfüllte, durchblättere ich am Anfang jeder Spielzeit voller Neugier das druckfrische Spielzeitheft des Staatsschauspiels Dresden. Und wie jedes Jahr verkündete ich ganz nebenbei im Freundeskreis, dass ich die diesjährigen Ensemblefotos eher mittelmäßig finde.

Üblicherweise ernte ich dafür ein verlegenes Lächeln, bevor das Thema einfach übergangen wird. Anders beim letzten Mal. Auf meine Floskel folgte völlig unerwartet der Kommentar: „Dann mach es doch besser!“

Und da hatte ich plötzlich den Schlamassel! Mit ein wenig Empfinden für fotografische Ästhetik, aber keiner Ahnung von Portraitfotografie, lag es an mir, zu beweisen, dass ich nicht nur eine große Klappe habe, sondern Worten auch Taten folgen lassen kann.

Frauenportrait

Aber kann das denn so schwer sein? Schließlich sind es Schauspieler*innen. „Denen sagst Du einfach, was Du gern hättest und dann musst Du nur noch draufhalten!“, dachte ich mir. Nein, so funktioniert es leider nicht, wie ich heute besser weiß!

Voller Tatendrang suchte ich mir eine Schauspielerin aus dem Ensemble aus, fand ihr privates Facebookprofil und schrieb ihr eine Nachricht gemäß dem Motto: „Hey, ich kann ein bisschen fotografieren, Dir jedoch nicht zeigen, was ich vorhabe, weil ich noch nie wirklich Portraits geschossen habe. Aber als Schauspielerin brauchst Du doch bestimmt eh ständig neue Fotos.“ So in etwa sendete ich meine Nachricht ab und wunderte mich, dass ich nach einer Woche immer noch keine Antwort im Postfach hatte.

Frauenportrait an einer Mauer

Da sie bestimmt einfach nur vergessen hatte zu antworten, schrieb ich ihr erneut. Und siehe da, plötzlich erhielt ich eine Rückmeldung. Diese fiel nur merkwürdigerweise weit weniger euphorisch aus, als ich erwartet hatte. Eher genervt als geschmeichelt wurde mir die Möglichkeit angeboten, in der Mittagspause ein paar Fotos zu schießen und die Sache dann bitte auf sich beruhen zu lassen.

Überzeugt, dass ich einer kameraerfahrenen Schauspielerin durchaus etwas bieten müsse, schnappte ich mir meine alte Hasselblad und machte mich mit zwei Filmen im Gepäck auf zum Treffpunkt. Um keine Zeit zu verlieren, begrüßte ich sie kurz und packte meine Kamera aus. Ein kurzer neugieriger Blick und dann kam es aus ihrem Mund: „Und nun?“ In dem Moment wurde mir klar, dass ich so überhaupt keine Ahnung hatte, wie man so ein Portraitshooting angeht.

Frauenportrait

Ich erklärte, dass ich gern ein bisschen rumlaufen würde, spannende Ecken suchen und ganz unkompliziert ein paar Bilder machen möchte. Und ja, ich machte auch ein paar Bilder. Allerdings fühlte ich mich nicht wirklich wohl bei der Sache und teilweise vielleicht sogar ein wenig überfordert von den Möglichkeiten, die ich nicht zu nutzen vermochte. Ich bedankte mich, ging nach Hause und überlegte mir schon auf dem Weg, was ich meinem Modell antworten werde, wenn sie in ein paar Tagen nach den Ergebnissen fragen würde.

Etwas ernüchtert ließ ich meinen belichteten Film die verschiedenen Chemiebäder durchlaufen und hoffte auf ein paar vorzeigbare Ergebnisse. Beim ersten Blick auf den Negativstreifen wurde mir klar, dass wohl ein paar „ganz okaye“ Fotos dabei waren. Also habe ich den Scanner angeworfen, fünf Bilder ausgewählt und ihr bereits am nächsten Tag geschickt.

Frauenportrait

„Hey, die sind gar nicht schlecht. Lass uns das doch vielleicht noch einmal machen. Mal ganz in Ruhe und geplant.“, stand es plötzlich auf meinem Handydisplay. „Ähm, okay, cool.“, lief es mir durch den Kopf. Die Ergebnisse waren weit von dem entfernt, was mir im Kopf herum schwirrte, als ich diese Portraitidee in die Tat umsetzen wollte, aber ganz verkehrt kann es ja nun auch nicht gewesen sein, wenn sie Lust auf eine zweite Runde hat.

Also alles zurück auf Anfang! In den nächsten Tagen setzte ich mich intensiv mit der Portraitthematik auseinander. Was störte mich an den Ensemblefotos? Was möchte ich anders machen? Wie kann ich das erreichen?

Wir verabredeten uns auf einen Kaffee, plauderten über allerlei Dinge (außer die Fotografie) und plötzlich waren zwei Stunden verstrichen. Auf einmal entwickelte ich ein Gespür für den Menschen vor mir, konnte ihn einordnen, bekam Ideen. Mir wurde klar, dass ich unbedingt diesen Menschen fotografieren wollte und keine der unzähligen Rollen, die er schon verkörperte.

Männerportrait

In dieser Beziehung sind Schauspieler*innen recht schwierig zu fotografieren, wie ich heute weiß. Schließlich ist es unmöglich, einen Menschen wirklich kennenzulernen, wenn man nur ein- oder zweimal mit ihm Kaffeetrinken war. Deshalb ist es für mich immer noch das größte Kompliment, wenn ich im Nachhinein Nachrichten von Freunden der portraitierten Person bekomme, dass es mir doch tatsächlich gelungen sei, den Menschen hinter der Rolle abzulichten. Und das passiert glücklicherweise gar nicht so selten.

Unser zweites Shooting verlief also ganz anders. Wir redeten viel und fotografierten recht wenig. Nachdem sich meine „neuen“ Fotos in der Kantine verbreiteten (wie mir im Nachhinein erzählt wurde), bekam ich plötzlich Anrufe von Menschen, die ich bisher ausschließlich von der Bühne kannte. Immer mehr wollten auf einmal von mir fotografiert werden. Meine Bilder seien anders als die, die sie sonst von sich haben machen lassen, meinten sie.

Männerportrait

Innerhalb von ein paar Wochen war die katastrophale erste Shootingerfahrung vergessen und ich stand plötzlich vor Problemen wie Terminplanung, Gewerbeanmeldung und Entwickeln einer konsistenten Bildsprache.

Fotografiert man regelmäßig und oft, findet eine riesige Entwicklung statt. Einem selbst ist dies jedoch gar nicht so bewusst, da man oft nur den Vergleich zum unmittelbar vorherigen Shooting hat. Wirklich erkannt habe ich das erst, als ich im Frühjahr die Anfrage bekommen habe, ob ich denn nicht eine kleine Ausstellung mit zehn meiner Arbeiten machen möchte. Da ich mich nun noch einmal intensiv mit all meinen bis dahin entstandenen Arbeiten auseinandersetzte, bekam ich einen völlig neuen Blick auf sie. Auf einmal sah ich die angesprochene Entwicklung in Bildern vor mir.

Männerportrait

Mein Stil festigte sich, ich erkannte auf einmal wiederkehrende Muster und Elemente in meinen Fotos. Dieser Schritt bzw. Rückblick war enorm wichtig für mich, um zu erkennen, wo die Reise hingehen kann. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich ohne die Ausstellung so schnell darauf gekommen wäre.

Die kleine Vernissage am Eröffnungsabend hat mir dann auch noch einmal die nötige Bestätigung gegeben, die alle Künstler*innen (obwohl ich mich eher als Dienstleister sehe) regelmäßig brauchen. Es ist schon ein unbeschreibliches Gefühl, wenn plötzlich wildfremde Menschen vor Dir (und Deinen Arbeiten) stehen und unmittelbares Feedback geben. Da reichen ein paar Likes und Kommentare in den sozialen Netzwerken nicht im Ansatz heran.

Eine Frau auf einem Sofa

In meinem ersten Jahr habe ich viel gelernt. Beispielsweise macht die Kommunikation mit dem Modell gefühlt 80 % des fertigen Bildes aus. Dazu kommen noch ein wenig Kreativität und Technikverständnis. Auch die Person hinter der Kamera ist entscheidend. Leute buchen Dich nicht nur für Deine Bilder. Sie müssen Zeit mit Dir verbringen wollen, sich wohl fühlen. Das Shooting mit Dir darf nicht gleichrangig zum Zahnarztbesuch im Kalender stehen.

Mein Augenmerk liegt darauf, mit meinen Modellen eine gute Zeit zu verbringen. Die Fotos sind dann quasi nur ein Nebenprodukt, das ganz nebenbei entsteht. Ich arbeite stetig daran, mein Fotoerlebnis zu verfeinern. Ohne ordentliche Drucke (die für mich das eigentliche Ergebnis verkörpern) gebe ich keine Arbeit an die Kund*innen heraus und manche sind davon so begeistert, dass sie mich selbst in die Dunkelkammer begleiten.

Ein Mann auf einer Treppe sitzend

Was für mich bei all den Erlebnissen fast schon zum Leitsatz geworden ist, ist die Erkenntnis, dass bei mir ein schlechtes Bauchgefühl im Vorfeld auch immer zu (handwerklich okayen) mittelmäßigen Ergebnissen führt.

In diesem Jahr sind auch einige skurrile Sachen passiert. Ich hatte etwa völlig unerwartet eines Tages eine Praktikumsanfrage im Briefkasten und wurde per Facebook gefragt, ob ich denn auch ausbilde. Geschmeichelt von den Anfragen bot ich den Betreffenden immerhin an, mich einmal bei einem Shooting zu begleiten. Gelegentlich hörte ich auch von Leuten, dass sie sich nicht getraut hatten, mich anzuschreiben, weil ich ja angeblich nur mit Schauspieler*innen arbeite. (Alles Quatsch! Wem meine Arbeiten zusagen, hat auch jeglichen Grund mich zu kontaktieren!)

MännerportraitEin Mann springt

Noch mehr als über die Aufträge an sich, habe ich mich in den letzten Monaten jedoch über die kleinen Dinge nebenher gefreut. Ich wurde von Schauspieler*innen nach Hause zur Familie eingeladen, sollte unbedingt zu Geburtstagsfeiern kommen, bekam persönliche Briefe mit Erzählungen, zu was ihnen meine Fotos verholfen haben und spürte Dankbarkeit häufiger und intensiver als je zuvor in meinem Leben. Ich bekam das Gefühl, dass ich als Fotograf Menschen mit einfachen Mitteln wirklich glücklich machen kann.

Meine grundlegende Arbeitsweise hat sich von Shooting zu Shooting stets weiterentwickelt. Ich verbringe im Vorfeld viel mehr Zeit mit meinen Modellen und versuche, alles aufzusaugen, was sie mir offenbaren. Und da Portraitaufnahmen durchaus etwas sehr Intimes sind, geht es oft sehr persönlich zu. Meist entstehen Bildideen so von ganz allein. Wobei ich auch keine großartigen fotografischen Inszenierungen umsetze.

Ein Mann sitzt an einem Baum

Ich arbeite sehr reduziert. Sowohl bildgestalterisch als auch handwerklich. Meine emotional wichtigsten Ergebnisse mache ich immer noch mit meiner alten analogen Hasselblad. Mit diesem so reduzierten Werkzeug habe ich eine möglichst kleine Hürde zwischen mir und meinem Motiv. Nichts lenkt ab und nichts unterbricht meine Verbindung zum Menschen vor der Linse. Ich werde beim Aufnehmen noch nicht mit dem Ergebnis konfrontiert.

Was ich auch immer wieder höre, ist, dass sich die Fotografierten nicht so bedroht fühlen, nicht ständig im Zugzwang sind, wie wenn ihnen ein großes schwarzes Rohr ins Gesicht gehalten wird und im maschinengewehrartigen Takt Bilder geschossen werden. Nicht zuletzt die langsame und überlegte analoge Arbeitsweise trägt wohl auch ihren Teil zu authentischen und unaufgeregten Ergebnissen bei. Manche betiteln meine Bilder als traurig, ich sehe sie jedoch eher als melancholisch und pur.

Für die Zukunft wünsche ich mir, mich auch in anderen Bereichen ausprobieren zu können und weiterhin so viele spannende Menschen kennenlernen zu dürfen.

Als persönlicher Höhepunkt kam vor ein paar Wochen der talentierte Filmemacher Clemens Preiser mit der Idee auf mich zu, meine Arbeit in Form eines kurzen dokumentarischen Videos zu portraitieren. Mit dem Ergebnis bin ich unglaublich zufrieden und ich würde mich freuen, wenn es Euch ebenfalls dazu inspirieren würde, einer alten analogen Kamera ein neues Leben zu schenken.


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